November 8, 2025

Darmbakterien treffen auf Mikroplastik – Segen oder Fluch?

Mikroplastik kann man nur schwer vermeiden

Alles kommt zurück. Ein frommer Wunsch, der im Fall von Plastikmüll leider nur allzu wahr ist. Seit Jahrzehnten verteilen wir den eifrig in der Umwelt – und er kehrt als Mikroplastik zu uns zurück. Wahrscheinlich haben wir das verdient, nachdem wir den Knall der FCKW und PFAS nicht gehört haben.

Mikroplastik, oder auch Nanoplastik für extrem kleine Partikel, ist mittlerweile überall in der Umwelt nachweisbar.

In 2022 wurden rund 400 Millionen Tonnen Plastik produziert. Plastik ist schwer abbaubar und so hat sich mit den Jahren ein Plastikberg von 6,3 Milliarden Tonnen angesammelt. Nur je rund zehn Prozent werden recycelt oder verbrannt, rund 80 Prozent deponiert. Verpackungen machen übrigens knapp 40 Prozent der Gesamtproduktion aus.

Mikroplastik ist überall

Plastikpartikel mit einer Länge von höchstens 5 mm werden als Mikroplastik bezeichnet, sind sie kleiner als 1 μm spricht man von Nanoplastik. Mikroplastik wird Industrieprodukten bewusst zugesetzt, zum Beispiel als Schleifmittel, oder entsteht, wenn größere Teile mit der Zeit durch physikalische Kräfte zerkleinert werden.

Mikroplastik ist längst in der Nahrungskette angekommen und wir nehmen, Schätzungen zufolge, wöchentlich 0,1 – 5,0 g mit der Nahrung auf. Der zweitwichtigste Aufnahmeweg ist über die Atemwege. Außerdem kann Mikroplastik über die Haut in den Körper gelangen.

Im Körper verteilt sich das Mikroplastik entsprechend der Partikelgröße. Je kleiner die Teilchen, desto besser und weiter verteilen sie sich im Körper. Partikel, die kleiner als 10 μm sind, schaffen es sogar in das Innere von Zellen.

Man findet Mikroplastik im Darm, im Blut, allen Organen und sogar dem Gehirn. Und es stört den Betrieb.

Mikroplastik trifft auf Darmbakterien

Die erste Anlaufstelle für Mikroplastik sind wohl der Darm und seine Bewohner. Um herauszufinden, was im Darm mit den Plastikpartikeln passiert, untersuchte eine Forschergruppe den Effekt auf eine definierte Bakteriengesellschaft in einem künstlichen Verdauungsmodell. Um es vorwegzunehmen: Die Auswirkungen variieren sehr und hängen stark von den Materialeigenschaften ab. Jeder Kunststoff macht etwas anderes. Aber im Prinzip vermehren sich immer opportunistisch pathogene Bakterien, vor allem Enterobakterien, eine Familie der Gammaproteobakterien. Christensenella und Akkermansia, gute Darmbakterien, nehmen dagegen ab.

Das wäre dann eine „ganz normale“ Dysbiose: Mit der Struktur des Mikrobioms ändert sich auch das Metabolom, die Zusammensetzung der bakteriellen Stoffwechselprodukte. Kurzkettige Fettsäuren nehmen ab, es können vermehrt sekundäre Gallensäuren gebildet werden. Es kommt halt einiges durcheinander.

Mikroplastik schwächt auch die Darmbarriere. Die Darmschleimhaut wird dünner und die Tight Junctions, die die Darmzellen gegeneinander abdichten und verhindern, dass etwas einfach zwischen den Zellen hindurchsuppt, werden schwächer. Da haben es Mikroplastik, Endotoxine und Bakterien leicht, in den Körper zu gelangen.

Dazu kommt, dass die Darmbakterien nicht untätig sind und an den Plastikpartikeln rumknabbern. Vielleicht kann man damit ja was anfangen? Manche nutzen sie nur als „Surfboard“ und bilden darauf Biofilme als sprichwörtliche Lebensgrundlage. Aber die Bastelarbeiten der Bakterien setzen jede Menge Schadstoffe frei, die dem Kunststoff als Hilfsmittel zugesetzt sind, um ihm die gewünschten Eigenschaften zu verleihen. Das sind zum Beispiel die sehr in Verruf geratenen PFAS, auch als Ewigkeitschemikalien bekannt.

Mikroplastik bindet aber auch verschiedene Schadstoffe, die in der Umgebung vorhanden sind und führt sie unserem Körper dadurch erst zu.

Mikroplastik ist wahrscheinlich nicht gesund

Mit der Anwesenheit von Mikroplastik in unserem Körper werden etliche Gesundheitsrisiken in Verbindung gebracht. Das können die „ganz normalen“ Folgen einer Dysbiose sein. Aber das Plastik verteilt sich überall im Körper und stellt wahrscheinlich auch direkt Schaden an. Eine Forschergruppe untersuchte den Verbleib fluoreszierender Plastikpartikel und fand sie im Inneren von Zellen wieder, vor allem im Zellkern und den Mitochondrien, also immer da, wo es DNA gibt.

Mikroplastik kann den Stoffwechsel, das Immunsystem, den Hormonhaushalt stören, krebserregend, zytotoxisch und reproduktionstoxisch wirken. Auf zellulärer Ebene kann es oxidativen Stress verursachen und Entzündungen fördern.

Welche Schäden genau entstehen, hängt vom Material und der Partikelgröße ab. Das sehr winzige Nanoplastik kann im Zellinneren alle möglichen Organellen schädigen. Zum Beispiel stört es die Funktion von Membranen und ohne funktionsfähige Membranen läuft gar nichts. Nanoplastik kann auch die Genexpression beeinflussen und die Struktur von Proteinen verändern.

Mikroplastik verstärkt die negativen Folgen einer fettreichen, westlichen Ernährung und kann damit zur Entstehung von Fettleibigkeit, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes beitragen. Vor allem die Leber scheint unter dem Mikroplastik zu leiden. Es besteht außerdem eine positive Korrelation zwischen der Schwere entzündlicher Darmerkrankungen und dem Gehalt in Mikroplastik. Die Stoffwechseländerungen, die mit der Anwesenheit von Mikroplastik einhergehen, nämlich eine Verschiebung in Richtung Glucoseabbau, ähneln denen in Krebszellen.

Wer gerne warme Mahlzeiten aus Plastikbehältern zu sich nimmt, legt nochmal eine Schippe drauf, denn mit der Temperatur steigt die Aufnahme von Mikroplastik – und die Dysbiose im Darm nimmt weiter zu.

Können Bakterien helfen, das Problem zu lösen?

Plastik ist – bisher- biologisch kaum abbaubar. Trotzdem tauchen an kritischen Stellen mit hoher Belastung in der Umwelt schon vereinzelt Bakterien auf, die erste Schritte unternehmen und versuchen, die stabilen chemischen Bindungen zu knacken. Die Plastikpolymere bestehen aus Kohlenwasserstoffketten, deren Struktur natürlich vorkommenden Molekülen durchaus ähneln kann. Wenn die Bakterien diese spalten lernen, erschließen sie eine neue Nahrungsquelle und vielleicht schrumpft der Plastikberg, den wir angehäuft haben, dann wieder.

Gibt es auch in unserem Darm Bakterien, die Plastik abbauen können?

Das kann man schon erwarten. Es gibt dort sehr viele Bakterien, eine große Artenvielfalt (hoffentlich) und Bevölkerungsdichte. Da ist es wahrscheinlich, dass Kooperationen entstehen, die dazu führen, dass Plastikpartikel zumindest teilweise abgebaut werden. Das wäre dann wieder einmal ein Fall von Cross Feeding.

Aber es geht noch besser. Einer Forschergruppe aus Korea ist es gelungen, Bakterien aus dem menschlichen Darm zu isolieren, die mit Plastik als einziger Kohlenstoffquelle existieren können. Die Forschenden boten Polypropylen (PP) und Low Density Polyethylen (LDPE) als einzige Kohlenstoffquelle an und konnten damit vier Spezies anreichern, jeweils zwei Angehörige der Gattung Klebsiella und zwei Angehörige der Gattung Enterobacter. Alle konnten auf LDPE wachsen, drei auf PP. Hier musste ein Enterobacter passen.

Dass sich das Mikrobiom durch Mikroplastik verändert, ist bekannt. Verschiedene Studien zeigen, dass sich ausgerechnet Gammaproteobakterien vermehren. Zu denen gehören auch Klebsiella und Enterobacter. Na, das passt.

Die Bakterien konnten die Kunststoffe aber nicht komplett zu Wasser, Stickstoff, Kohlendioxid und Methan mineralisieren, aber die physikalischen Eigenschaften änderten sich, der Schmelzpunkt sank, das Material konnte leichter mechanisch zerkleinert werden.

Ist das nun gut oder schlecht?

Wenn die Bakterien das Mikroplastik nicht komplett abbauen, kann es sein, dass wir vom Regen in den Hagel kommen, denn dann werden die schädlichen Begleitstoffe freigesetzt. Und kleinere Partikelgröße könnte bedeuten, dass die Teilchen sich noch leichter über Hindernisse hinwegsetzen und sich noch besser im Körper verteilen. Am besten, man ginge Mikroplastik aus dem Weg – das ist aber leider nicht so einfach.

Quellen:

Pacher-Deutsch, Christian et al. “The microplastic-crisis: Role of bacteria in fighting microplastic-effects in the digestive system.” Environmental pollution (Barking, Essex : 1987) vol. 366 (2025): 125437. doi:10.1016/j.envpol.2024.125437

Jang, Yejin et al. “Identification of plastic-degrading bacteria in the human gut.” The Science of the total environment vol. 929 (2024): 172775. doi:10.1016/j.scitotenv.2024.172775

Bora, S. S., Gogoi, R., Sharma, M. R., Anshu, Borah, M. P., Deka, P., Bora, J., Naorem, R. S., Das, J., & Teli, A. B. (2024). Microplastics and human health: unveiling the gut microbiome disruption and chronic disease risks. Frontiers in cellular and infection microbiology, 14, 1492759. https://doi.org/10.3389/fcimb.2024.1492759

Foto: KI

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