Juli 15, 2025

Das Legalom – wie unsere Darmbakterien uns in den Knast bringen können

Das Legalom: Darmbakterien könne uns auf die schiefe Bahn bringen

Ein Autofahrer wird mit viel Alkohol im Blut von der Polizei gestoppt. Er schwört Stein und Bein, dass er nichts getrunken hat – und wird beim anschließenden Gerichtsverfahren freigesprochen. Die Darmflora war schuld und er ein Opfer des Eigenbrauer-Syndroms. Das beschreibt einen Zustand, bei dem eine Dysbiose im Darm reichlich Alkohol produziert. So viel, dass beträchtliche Blutalkoholspiegel erreicht werden, ohne dass der Wirt das Vergnügen hatte, einen guten Tropfen genießen zu können. Pech gehabt, was den Genuss angeht, aber das Legalom rettet den Führerschein.

Der Forschungszweig der Neuromikrobiologie deckt immer neue Verbindungen zwischen dem Gehirn und dem Darm-Mikrobiom auf. Das weiß man schon, seit man die Darm-Mikrobiom-Hirn-Achse entdeckt hat. Das unerschütterliche Dogma des freien Willens der Menschen gerät dabei allmählich ins Wanken. Stattdessen soll ein Legalom uns von der Schuld reinwaschen.

Das Eigenbrauer-Syndrom ist ein gutes Beispiel dafür: Mikrobielle Stoffwechselprodukte beeinflussen unser Verhalten und wir agieren wie eine Marionette an den Fäden der Darmflora. Dies ist nur ein weiteres Beispiel dafür, wie das menschliche Mikrobiom Gehirnfunktion und Verhalten beeinflussen kann. Bei Entscheidungen, die schnell und scheinbar mühelos getroffen werden und auf Intuition, Wahrnehmung, Emotionen und assoziativem Gedächtnis basieren, haben eventuell Mikroben ihre Finger im Spiel. Das Wissen über das Legalom wird die Entscheidungsfindung unserer Rechtssysteme in Zukunft beeinflussen und hoffentlich verbessern und zu einem differenzierteren und gerechteren Ansatz in der Strafjustiz führen. Damit ist neben all den anderen „-omen“ nun das „Legalom“ geboren – die Gemeinschaft der Darmbewohner, die Einfluss auf unsere Gesetzestreue haben.

Hinweise auf ein Legalom gibt es schon seit dem späten 19ten Jahrhundert. Schon damals entdeckten Forscher einen Zusammenhang zwischen pathogenen Mikroorganismen und psychischen Störungen, veröffentlicht 1896 in Scientific American, von einem anonymen Autor, unter dem Titel “Is Insanity due to a Microbe?” Scientific American 75: 303

Der Erreger der Syphilis, Treponema pallidum (früher: Spirochaeta pallida) trägt zu gesetzwidrigen Verhalten bei, die Palette reicht von Diebstahl bis Totschlag, wie man in frühen 20ten Jahrhundert wusste. Allerdings ist Treponema kein Darmbakterium.

Ein neuer Forschungszweig: die Neuromikrobiologie

Die moderne Neuromikrobiologie konnte den historischen Beobachtungen, die sehr spekulativ waren, nun empirisch validierte Mechanismen zuordnen. Heute ist durch Forschung und Beobachtungen eindeutig belegt, dass Mikroben unsere Gehirnfunktionen und unser Verhalten beeinflussen.

Darmbakterien sind am Abbau oder der Produktion von neuroaktiven Verbindungen beteiligt. Dazu gehören zum Beispiel GABA, der wichtigste hemmende Neurotransmitter (Neurotransmitter vermitteln an Synapsen die Übertragung der Erregung zwischen zwei Nervenzellen), oder Vorstufen von Serotonin, auch ein Neurotransmitter und als Glückshormon bekannt, und noch viele mehr.

Viele dieser Verbindungen können die Blut-Hirn-Schranke passieren und direkt im Gehirn wirken. Oder sie senden ihre Botschaften über den Vagusnerv. Sie können auch die Produktion von Zytokinen anregen, die im Gehirn für entzündliche Prozesse sorgen und dessen Funktion beeinträchtigen. Außerdem sind die Darmbakterien am Stoffwechsel bioaktiven Verbindungen beteiligt und sie scheine auch die Glycosilierung von Proteinen, also das Anheften von Zuckermolekülen, im Gehirn beeinflussen zu können. Das wirkt sich ziemlich sicher nicht gut auf dessen Funktion aus. Im Prinzip ist das hier nur die negative Seite der Darm-Mikrobiom-Hirn-Achse. Aber zumindest im Krankheitsfall können Bakterien auch in das Gehirn vordringen. Heute vermutet man, das könnte sich als psychosomatische Krankheiten äußern.

Wie bringen uns die Darmbakterien auf die schiefe Bahn?

Durch einen löchrigen Darm können allerlei Bakterien oder bakterielle Toxine in den Blutkreislauf gelange und bis ins Gehirn vordringen. Die Blut-Hirn-Schranke lässt eine Menge durch. Und so ein „Leaky Gut“ kann zu verwirrtem Gedankenchaos, Aggressionsanfälligkeit und Stimmungsstörungen führen.

Mittlerweile kann man bestimmte psychischen Eigenschaften, wie Gemüt, Emotionskontrolle, Resilienz, Mitgefühl, Impulsivität oder Aggressivität schon typische bakterielle Signaturen, also tatsächlich ein Legalom, zuordnen. Auch für Geisteskrankheiten, wie Schizophrenie und bipolare Störungen, kristallisieren sich langsam typische mikrobielle Signaturen heraus. Anhand mikrobieller Profile kann man sogar die Wirksamkeit von Medikamenten vorhersagen – zum Beispiel, wenn die Wirkstoffe von Bakterien abgebaut werden, bevor sie ihre Wirkung entfalten können.

Die Bakterien, die unser Denkorgan aus dem Takt bringen, müssen nicht notwendigerweise im Darm leben. Auch das Mikrobiom im Mund oder auf der Haut kann zu Störungen führen.

Tierstudien zeigen den Zusammenhang zwischen bestimmten mikrobiellen Signaturen und aggressivem Verhalten. Das kann auf verschiedenen Wegen durch Ernährungsgewohnheiten zustande kommen. Die westliche Ernährung steht hier mal wieder in der Kritik.

Mikroben greifen auch in die endogene Hormonproduktion, wie sich am Beispiel von Limosilactobacillus reuteri und Oxytocin, dem Kuschelhormon, gezeigt hat.

Anhand von keimfreien Mäusen, die keinerlei Mikrobiome besitzen, kann man sehen, dass das Darm-Mikrobiom eine Rolle im Belohnungsverhalten spielt. Das wiederum wirkt sich auf Suchtverhalten aus,

Das Darm-Mikrobiom schient auch einen Einfluss auf im Blut zirkulierende Androgene zu haben. Das sind männliche Sexualhormone, denen man seit schon lange eine Rolle bei Aggressionen und Kriminalität nachsagt.

Die frühkindliche Ernährungsweise prägt das Darm-Mikrobiom und kann sich langfristig auf die soziale Kompetenz auswirken.

Das Verbrecher-Mikrobiom 😉

Die mikrobielle Signatur von Personen, die mit dem Gesetz in Konflikt geraten sind, wurde noch nicht oft untersucht. Aber wer es tut, findet tatsächlich Unterschiede zwischen Straftätern und Gesetzestreuen.

Die Neuzugänge in einem chinesischen Gefängnis beherbergten deutlich andere Bakterien mit einer funktional unterschiedlichen Genen in ihrem Darm als frei lebende Artgenossen.

In einem Frauengefängnis fand man vermehrt Bacteroides, Barnesiella und Rhodospirillales bei gewalttätigen, impulsiven Insassinnen.

An manchen sozialen Brennpunkten liegt die Kriminalitätsrate über dem Durchschnitt. Eine Studie an post-mortalen Proben konnte einen Zusammenhang zwischen einer Dysbiose und dem örtlichen Kriminalitätsniveau herstellen. Die Verstorbenen aus der „schlechten Gegend“ hatten weniger diverse Mikrobiome mit einer geringeren Artenvielfalt.

Die Anzahl von Bakterien aus der Familie der Lachnospiraceae korrelierte mit der Kriminalitätsrate und aus Tierstudien ist bekannt, dass diese Bakterien aggressives Verhalten und Depressionen fördern. Lachnospiraceae sind eine große Familie, der auch gern gesehene Darmbewohner angehören.

Wie kann das sein?

Es gibt verschiedenen Risikofaktoren für eine kriminelle Laufbahn. Ein sozial und wirtschaftlich schwaches Umfeld, zum Beispiel. Damit geht oft auch ein ungünstiger Lebensstil einher. Oft ist die Belastung durch Umweltgifte, etwa Schwermetalle, hoch. Diese Faktoren fördern auch das Entstehen einer Dysbiose im Darm, die dann ihre ungünstigen Auswirkungen entfalten kann. Aber besteht wirklich ein ursächlicher Zusammenhang?

Das könnte eine Stuhltransplantation klären. Und tatsächlich lassen sich psychische und kognitive Eigenschaften mit dem Stuhl von einem Spender auf einen Empfänger übertragen – zumindest in Tierstudien.

Möglicherweise wird es also in Zukunft nötig sein, bei Strafverfahren für einen fairen Prozess auch das mikrobielle Umfeld des Angeklagten zu berücksichtigen, meinen die Autoren dieses Übersichtartikels.

Quelle:

Logan AC, Mishra P, Prescott SL. The Legalome: Microbiology, Omics and Criminal Justice. Microb Biotechnol. 2025 Mar;18(3):e70129. doi: 10.1111/1751-7915.70129. PMID: 40072296; PMCID: PMC11898878.

Bild von mnswede70 auf Pixabay

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