Es ist schon lange kein Geheimnis mehr, dass westliche Ernährung uns nicht gut tut und verschiedenen Krankheiten Vorschub leisten kann. Aber was genau kann uns da Schreckliches widerfahren?
Was ist westliche Ernährung?
Westliche Ernährung zeichnet sich durch einen hohen Gehalt an Zucker, Fett und hoch verarbeiteten Nahrungsmitteln aus. Dafür mangelt es an Ballaststoffen und manchmal auch wasserlöslichen Inhaltsstoffen, die während des Verarbeitungsprozesses verloren gehen. Außerdem enthält sie viele Zusatzstoffe, wie Emulgatoren, Verdickungsmittel, künstliche Süßungsmittel, Aroma, Rieselhilfen, was auch immer – und reichlich Salz.
Westliche Ernährung scheint in erster Linie dem Darm zu schaden. Alles weitere kommt dann von selbst. Etliche Bestandteile dieser Ernährungsform stören die Darmbarriere, und das oft ohne das Zutun der Darmbakterien.
Was ist die Darmbarriere?
Die Darmbarriere beschränkt die Passage der Inhaltsstoffe des Darms in unseren Kreislauf. Dabei wird fleißig selektiert, denn nicht alles, was da rumschwimmt, wollen wir in unserem Körper begrüßen.
Die Darmbarriere setzt sich aus drei Komponenten zusammen: dem Darmlumen, der Mucosa und den Darmepithelzellen.
Im Lumen wird Schädliches, wie Giftstoffe oder Pathogene, durch Sekrete, das Milieu selbst und die Darm-Mikrobiota ferngehalten.
Die Mucosa enthält die Glycocalyx, ein Gerüst aus Fetten und Proteinen, an die verschiedene Zuckerstoffe gebunden sind. Diese Konstruktion bindet viel Wasser, was die Mucosa zu einer Schleimschicht macht. Sie besteht aus zwei Schichten, einer inneren, festeren, die frei von Bakterien ist, und einer äußeren, die dünnflüssiger ist und in der Bakterien nisten können.
Das Darmepithel schließlich ist eine physische Barriere, die aus Zellen besteht, die durch sogenannte Tight Junctions dicht miteinander verbunden sind und den Stofftransport kontrolliert. Hier gibt es verschiedene Zelltypen mit verschiedenen Aufgaben:
Enterozyten sind für die Absorption von Nährstoffen und Wasser verantwortlich. Außerdem gibt es enteroendokrine Zellen. die Verdauungshormone freisetzen, Becherzellen, die Mucine produzieren. Mucine sind zuckerhaltige Proteine, die im Darm den Schleim bilden. Paneth Zellen setzen antimikrobielle Peptide frei.
Tight Junctions sind Proteinkomplexe mit einem komplizierten Aufbau aus mehreren Untereinheiten. Sie dichten die Zellen seitlich ab, verhindern einen unkontrollierten Durchtritt von Stoffen. Sie erlauben aber einen kontrollierten parazellulären (an den Zellen vorbei) Transport von Nährstoffen, Ionen und Wasser.
Die meisten Nahrungsbestandteile gelangen durch transzellullären Transport in den Blutkreislauf, werden auf der dem Darmlumen zugewanbdtren Seite durch ein Transportprotein aufgenommen und auf der gegenüberliegenden Seite wieder abgegeben. Aminosäuren, Fette, Glucose, Vitamine und einige Ionen gehen diesen Weg.
Leaky Gut durch westliche Ernährung
Manche Nahrungsbestandteile schwächen die Darmbarriere und der Darm wird löchrig. Man spricht von einem Leaky Gut.
Wenn die Proteinkomplexe der Tight Junctions an Stabilität verlieren, erhöht das die Durchlässigkeit der Darmbarriere. Und genau das vermitteln viele der Sachen, die wir als unser täglich Brot betrachten. Wenn die Darmbarriere geschwächt ist, gelangen mehr toxische Substanzen, wie LPS, in den Blutkreislauf, ebenso wie pathogene Mikroorganismen und Antigene.
Glucose
Verwertbare Kohlenhydrate bauen wir zu Glucose ab. Die wird von den Darmepithelzellen an der dem Lumen zugewandten Seite aufgenommen, an der gegenüberliegenden Seite ins Blut abgegeben. Das ist der transzelluläre Transportweg. Wenn viel Glucose vorhanden ist, schlüpft sie auch auf dem parazellulären Weg durch die Tight Junctions. Solche Flutwellen schwächen die Stabilität der Tight Junctions. Außerdem kann es passieren, dass Glucose zurück in die Epithelzellen transportiert wird. Dort verändert sie die Aktivität bestimmter Gene. Leider der Gene, die für die Stabilität der Zellen, das Cytoskelett und die Tight Junctions wichtig sind.
Glucose aktiviert ein Enzym, das Phosphatreste an bestimmte Bestandteile des Cytoskeletts hängt. Diese kontrahieren daraufhin wie ein Muskel (die beteiligten Proteine sind die gleichen) und verzerren oder verschieben auch die Architektur der Tight Junctions. Dann nimmt die Permeabilität der Darmbarriere zu.
Der viele Zucker kann auch zu einer Dysbiose im Darm führen. Vor allem Proteobakterien und Bacteroidetes nehmen zu. Proteobakterien sind eine gute Quelle für LPS. Durch die geschwächte Darmbarrier hat das dann leichten Zugang zum Blutkreislauf. Es droht eine Endotoxämie.
Fructose
Der Konsum von Fructose nimmt zu, seit man aus Maisstärke Glucose-Fructose-Sirup herstellt, der fast nur aus Fruchtzucker besteht. Die Lebensmittelindustrie verwendet ihn gern zum Süßen, denn Fructose hat eine höhere Süßkraft als Traubenzucker, also braucht man weniger davon und spart Geld. Er steckt in Backwaren, Konfitüre, Softdrinks, Tomatensoße, Junk Food.
Fructose kann im Verdauungstrakt so verändert werden, dass die Umwandlung in Glucose möglich ist. Dabei wird ATP verbraucht. Das raubt dem Gewebe Energie, vor allem, weil das verantwortliche Enzym keinerlei Produkthemmung unterliegt und einfach immer weiter macht und ATP verbraucht. Am Ende führt das zu oxidativem Stress. Außerdem wird die Produktion der Tight Junction Proteine heruntergefahren und die Darmbarriere verliert an Stabilität.
Exzessiver Fructosekonsum führt auch dazu, dass vermehrt entzündungsfördernde Zytokine freigesetzt werden.
Die Mucosa kann leiden, wenn sich Bakterien vermehren, denen die Glykoproteine besonders gut schmecken. Es gibt viele davon, die nicht so wohltätig sind wie Akkermansia.
Fett
Fettreiche Ernährung steht direkt mit einer Schwächung der Darmbarriere in Zusammenhang, heißt es. Zum einen fördert sie ein Dysbiose im Darm, wobei sich Bilophila wadsworthia vermehrt. Diese Bakterien produzieren Schwefelwasserstoff und der hemmt die Produktion von kurzkettigen Fettsäuren, die die Enterozyten ernähren und die Tight Junctions stärken. Außerdem verschwinden Lactobacillus, Bifidobacterium, Bacteroidetes und Akkermansia, alles gern gesehene Darmbewohner.
Bei fettreicher Ernährung entsteht auch viel LPS. Das aktiviert das Immunsystem und führt zur Produktion entzündungsfördernder Zytokine.
Und es gibt reichlich Gallensäuren im Darm. Die scheinen ebenfalls die Tight Junctions anzugreifen.
Bei der Fettverdauung entstehen Chylomikronen. Das sind Fett transportierende Proteinkomplexe. Sie schwächen die Mucosa indem sie den Raum zwischen den Enterocyten verstopfen.
ω-6 Fettsäuren
Keine Frage: ω-6 Fettsäuren sind essenziell und lebensnotwendig, aber die Produktionsmethoden der Lebensmittelindustrie und Landwirtschaft bescheren uns ein Vielfaches dessen, was uns gut tut. Die bekannteste ω-6 Fettsäure ist wohl Arachidonsäure. Sie ist in fettreichen tierischen Nahrungsmitteln enthalten. Wir können sie auch selbst basteln, indem wir pflanzliche Linolsäure verlängern.
Arachidonsäure dient zur Produktion von Eicosanoiden. Das sind fettähnliche Substanzen mit Hormonwirkung. In den Darmepithelzellen entstehen Prostaglandine und Leukotriene. Leukotriene stehen in Zusammenhang mit entzündungsfördernden Prozessen. Außerdem aktivieren sie ebenso wie Glucose das Enzym, das das Cytoskelett und die Tight Junctjons destabilisiert.
Gluten
Gluten ist auch als Weizenkleber bekannt. Es ist ein Komplex von Glykoproteinen und kommt in verschiedenen Getreidesorten, wie Weizen, Roggen, Gerste vor. Auch in Haferprodukten kann es auftauchen, dann aber als Verunreinigung uis der Verarbeitung glutenhaltiger Getreidesorten.
Die wichtigste Komponente des Gluten ist Gliadin, das für Zöliakie oder andere Glutenunverträglichkeiten verantwortlich ist.
Zöliakie entwickelt man nur, wenn durch den Mangel einer bestimmten Protease Gliadin nicht ausreichend abgebaut wird. Dann entstehen größere Peptide, die die Darmbarriere schädigen.
Das hat mit Zonulin, einem Markerprotein für eine gestörte Darmbarriere, zu tun. Zonulin wird aus den Epithelzellen freigesetzt, bindet dann an einen Rezeptoe auf der Zelloberfläche, was mal wieder die Struktur des Cytoskeletts einschließlich der Tight Junctions sabotiert. Es folgt er massive Einstrom von Antigenen, nämlich den Gliadin-Fragmenten. was entzündungsfördernde Reaktionen des Immunsystems auslöst.
Salz
Zu viel Salz kann eine Dysbiose im Darm hervorrufen. Parasutterella, Erwinia, Ruminococcus und Lachnospiraceae nehmen zu, Lactobacillus, Oscillibacter, Pseudoflavonifractor, Johnsonella und Rothia nehmen ab, heißt es. Hier nehmen tendenziell gute Bakterien zu und unerwünschte ab. Per Definition handelt es sich wohl trotzdem um eine Dysbiose. Aber diese Veränderungen ändern die Funktion, die das Darm-Mikrobiom ausführt, beispielsweise, weil unter diesen Bedingungen andere Stoffwechselwege aktiv sind.
Hohe Natriumkonzentrationen können die Physiologie der Darmepithelzellen verändern und diese Zellen neigen dann dazu, Opfer der Apotptose, dem programmierten Zelltod, zu werden.
Wenig überraschend fördert Natrium seine eigene Aufnahme in die Zellen. Ulkigerweise führt die Stimulation eines Natrium-Wasserstoff-Austauschers dazu, dass Bestandteile des Cytoskeletts kontrahieren. Das destabilisiert auch die Tight Junctions.
Alkohol
Alkohol wird im Dünndarm absorbiert und 98 % davon erreichen die Leber und werden dort abgebaut. Der Rest wird mit der Atemluft, Urin und über den enterohepatischen Kreislauf (ein Recyclingweg für Gallensäuren) ausgeschieden.
Bei exzessivem Alkoholgenuss gelangen aber auch Alkohol und Acetaldehyd, ein Abbauprodukt in den Darm. Wenn sich Acetaldehyd in den Epithelzellen anreichert, führt das zu Zellschäden. Vor allem die Tight Junctions werden weniger. Das liegt möglicherweise daran, dass Alkohol einen Zinkmangel hervorruft. Exzessiver Alkoholkonsum hemmt die Produktion von Mucin und lässt die Mucosa schrumpfen. Und bei chronischem Missbrauch gehen außerdem noch Stammzellen verloren.
Und Alkohol führt zu Veränderungen des Darm-Mikrobioms. Proteobacteria, Enterobacteriaceae und Streptococcaceae nehmen zu, Clostridia, Bacteroidetes, Lactobacillus und Faecalibacterium nehmen ab.
Emulgatoren
Viele hoch verarbeitete Produkte enthalten Emulgatoren, wie Polysorbat 80 (P80) und Carboxymethylcellulose. Letztere kennt man aus veganen Fleischersatzprodukten und Tapetenkleister – echt, kein Scherz. Emulgatoren verbessern die Textur minderwertiger Produkte und verlängern deren Haltbarkeit. Emulgatoren greifen die Darmbarriere gleich an mehreren Punkten an. Sie schaden den Tight Junctions, reduzieren die Produktion von Mucin, dem Schleim bildenden Protein, erleichtern Bakterien die Passage durch die Darmwand und lösen damit entzündliche Reaktionen aus.
Süßstoffe
Künstliche Süßstoffe, wie Saccharin und Acesulfam K werden vielen Fertigprodukten und Konserven zugesetzt. Sie sind billiger als Zucker und die Produkte können noch damit glänzen, ohne Zusatz von Zucker hergestellt zu sein.
Acesulfam K setzt große Mengen entzündungsfördernder Zytokine frei und reduziert die Freisetzung des Rezeptors für GLP, ein Sättigungshormon. Das macht hungrig. Aber diese Rezeptoren helfen auch, die Tight Junctions zu verstärken und wenn sie ausfallen steigt die Permeabilität der Darmbarriere.
Hohe Dosen an Emulgatoren und Süßstoffen stören auch das Darm-Mikrobiom. Verschiedene Studien kommen im Detail zu unterschiedlichen Ergebnissen, aber im Prinzip nehmen gute Bakterien ab schlechte zu.
Bei einer fett-, kohlenhydrat- und insgesamt energiereichen Ernährung findet man vermehrt Endotoxine (LPS) und Zonulin, einen Marker für erhöhte Darmpermeabilität, im Blutserum.
So sieht’s aus mit westlicher Ernährung
Westliche Ernährung enthält viele Bestandteile, die der Darmbarriere schaden. Damit erhalten bakterielle Stoffwechselprodukte die Chance, in den Blutkreislauf vorzudringen. Sie lösen entzündliche Prozesse aus und verändern das Immunsystem. Die Folge können Stoffwechselstörungen, Autoimmunerkrankungen, neurodegenerative Erkrankungen sein. Ganz schön doof.
Quellen:
Jaquez-Durán, Gilberto, and Ana Lidia Arellano-Ortiz. “Western diet components that increase intestinal permeability with implications on health.” International journal for vitamin and nutrition research. Internationale Zeitschrift fur Vitamin- und Ernahrungsforschung. Journal international de vitaminologie et de nutrition vol. 94,5-6 (2024): 405-421. doi:10.1024/0300-9831/a000801
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