Fructose ist „die Süße aus Früchten“. Früchte sind meist gesund und da denkt man sich nichts Böses, wenn man Fruchtzucker isst. Und dann ist alles ganz anders.
Manche Leute haben die Angewohnheit, Äpfel zu schälen. Das soll man nicht, heißt es, denn unter der Schale sitzen die meisten Vitamine und ansonsten gesunde Stoffe. Und dann kommen manche Experten, die durchaus dazu raten, Äpfel zu schälen. Um dann den Apfel wegzuschmeißen und nur die Schalen zu essen. Wegen der Fructose. Äpfel enthalten viel davon.
Übertreiben die? Vielleicht. Fructose in ihrer natürlichen Umgebung, einer Frucht, ist eher ungefährlich, weil andere Pflanzenbestandteile ihre Schädlichkeit ausbremsen, Vitamin C zum Beispiel. Und sie wird auch nicht in solchen Unmengen verzehrt, wie das bei Zucker der Fall ist. Schließlich bestehen Pflanzen zum größten Teil aus Wasser.
Fruchtzucker für Diabetiker
Früher erzählte man, Fructose werde insulinunabhängig verstoffwechselt. Das stimmt. Und sie muss in der Leber erst zu Glucose, also Traubenzucker, umgebaut werden, bevor sie wieder ins Blut gelangt. Das verlangsamt die Geschichte und es werde weniger Insulin benötigt. Das stimmt nicht.
Ich weiß nicht, wer das beschlossen hat, aber die Leber weiß davon nichts und macht Fructose einfach zu Fett. Das begünstigt die Entstehung einer Fettleber und Insulinresistenz. Ganz doof, wenn die Leber blind für Insulin ist, denn dann denkt sie, es herrscht Hunger und schüttet Glucose aus. Das erhöht den Blutzuckerspiegel zum denkbar ungünstigen Zeitpunkt, nämlich wenn er eh gerade hoch ist.
Heute akzeptiert man, dass Fructose für Diabetiker nicht geeignet ist und rät vom Verzehr ab. Das hat aber lange gedauert. Was Fructose anrichten kann, wusste man schon lange, Jahrzehnte, bevor man davon abriet, sie zu verzehren.
Warum ist Fructose nun schädlich?
Es liegt daran, wie Fructose verstoffwechselt wird. Der Stoffwechsel von Fruchtzucker lässt den ATP Gehalt der Zellen stark sinken. Bei intravenöser Gabe kann das bis zu 70 % ausmachen, ansonsten „nur“ 20.
ATP ist wichtig, es ist die universelle Währung, mit der alle Energie benötigenden Stoffwechselreaktion angetrieben werden. Als wär das nicht genug, kommt auch noch die Synthese des ATP Nachschubs ins Stocken. Der Körper reagiert darauf damit, dass er ein Notfallprogramm startet, das den Grundumsatz senkt und das Verhalten beeinflusst. Unter ATP Mangel streifen Tiere umher und suchen Nahrung. Das kompensiert den gesenkten Grundumsatz. Nur wir bleiben vor dem Bildschirm sitzen und ziehen uns noch einen Schokoriegel rein.
Wie kann das passieren und was ist der Sinn des Ganzen?
Der Fructose wird im Stoffwechsel zunächst Phosphatrest angehängt. Das ist oft der erste Schritt von Stoffwechselvorgängen. Einfach nur um das Zeug zu maskieren und den Transport nicht zu hemmen und quasi einen Stau zu verhindern. Auch Glucose wird zunächst phosphoryliert, aber von einem anderen Enzym und das ist der springende Punkt.
Das Fructose abbauende Enzym wird nicht gehemmt, etwa durch sich anhäufende Reaktionsprodukte, und so wird immer mehr Fructose phosphoryliert. Dazu benötigt es ATP und das lässt den Spiegel sinken.
Die biologische Reaktion auf ATP Mangel ist einerseits eine gesteigerte Energiezufuhr. Andererseits wird die Funktion der Mitochondrien gestört, sodass die Energie als Fett gespeichert statt zur ATP Synthese verwendet wird. Allmählich stellt sich wieder ein Gleichgewicht ein, aber das gespeicherte Fett bleibt.
Die Mitochondrien streiken übrigens, weil sie vermehrt oxidativen Stress haben, während die schützenden antioxidativen Systeme heruntergefahren werden. Oxidativer Stress in den Mitochondrien hemmt die Fettverbrennung. Und fördert die Neubildung von Fett.
Und der Sinn?
Obst und damit Fructose gibt es vor allem im Spätsommer und Herbst, wenn sich viele Tiere auf einen harten Winter vorbereiten. Da kann es tatsächlich nützlich sein, wenn der Verzehr von reichlich Fruchtzucker den Körperfettanteil steigert. Nur für uns gibt es Fructose ständig und reichlich und das ist ein Problem.
Und die Folgen?
Das Gewicht steigt, vor allem das viszerale Bauchfett, evtl. entwickelt sich auch eine Fettleber. Und eine Insulinresistenz. Der Blutdruck steigt und die Triglyceride auch. Das gute HDL Cholesterin sinkt, aber der Harnsäuregehalt im Blut ist erhöht. Die Nieren leiden. Entzündungsmarker steigen.
Der Verbrauch von Fructose steigt
Im vergangenen Jahrhundert ist der Verbrauch von Fructose stark angestiegen, Zunächst in Form von Saccharose oder Haushaltszucker. Der besteht zur Hälfte aus Fruchtzucker. Dann hat man noch den Glucose-Fructose-Sirup „erfunden“.
Glucose-Fructose-Sirup oder HFCS (High Fructose Corn Syrup) wird eigentlich aus Stärke hergestellt. Die ist billig und in großen Mengen verfügbar. Eigentlich besteht sie nur aus Glucose, aber es ist nicht schwer, Traubenzucker in Fruchtzucker umzuwandeln. Der besitzt eine höhere Süßkraft. Man braucht also weniger davon. Das macht die Sache nochmal billiger. HFCS besteht bis zu 90 % aus Fructose. Glucose-Fructose-Sirup ist in sehr vielen industriellen Lebensmitteln enthalten.
Fructose machen wir auch selbst
In der typisch westlichen Ernährung stammt Fructose hauptsächlich aus Haushaltszucker und Glucose-Fructose-Sirup. Der Verzehr macht im Durchschnitt 15 % der Energiezufuhr aus.
Aber der Körper kann Fructose auch ohne weiteres selbst herstellen. Und er tut das, wenn er mit großen und nicht zu bewältigenden Mengen Glucose überschwemmt wird. Bei Diabetes ist das der Fall. Oder, wenn man sich sehr kohlenhydratreich ernährt. Wenn diese Kohlenhydrate dann noch einen hohen glykämischen Index haben, also besonders schnell den Blutzucker steigern, ist es besonders schlimm.
Fructose wird im Körper über den so genannten Polyolweg erzeugt. Glucose wird zunächst zu Sorbitol, dann zu Fruchtzucker umgesetzt.
Das entscheidende, geschwindigkeitsbestimmende Enzym kann in seiner Aktivität angefeuert werden, was die Produktion von Fructose erhöht.
Stress für die Zelle gehört dazu. Zum Beispiel eine Dehydratation, Energie- oder Sauerstoffmangel. Auch Salz und Alkohol. Umami schmeckende Lebensmittel, also solche, die würzig, vollmundig, lecker schmecken, Glutamat und sogenannte Nukleoside, wie AMP und IMP (Abbauprodukte von ATP, das ja gerade schlecht regeneriert werden kann und deshalb entsorgt wird) erhöhen die Harnsäure und die stimuliert die Synthese von Fructose.
Die meiste Fructose wird wohl in der Leber produziert, aber auch andere Gewebe sind dazu in der Lage. Ein junger, schlanker Erwachsener produziert etwa 5 g pro Tag. Der Konsum von zuckerhaltigen, hochglykämischen Softdrinks kann die Syntheserate vervielfachen.
Fructose verändert den Stoffwechsel
Fructose macht hungrig und durstig, knockt das Sättigungsgefühl aus und führt dazu, dass man viel mehr isst, als man braucht. Und man ist ständig auf der Suche nach Nahrung (zumindest andre Tiere). Unter dem Einfluss von Fruchtzucker verlängern sich die Mikrovilli, die oberflächenvergrößernden Fortsätze auf der Oberfläche der Darmepithelzellen. So kann man viel mehr Energie resorbieren.
Fructose hemmt die Fettverbrennung und fördert die Neubildung von Fett. Der Grundumsatz sinkt. Das gleicht die gesteigerte Aktivität zur Nahrungssuche aus – sofern man sie denn durchführt. Zur Unterstützung der Energiesparmaßnahmen entwickelt sich eine Leptinresistenz. Das dauert allerdings einige Wochen. Leptin ist ein Hormon, das im Dünndarm und in Fettzellen gebildet wird und das Hungergefühl hemmt.
Harnsäure, die ja beim Abbau der ATP-Reste gebildet wird, erzeugt ähnliche Effekte und ist wahrscheinlich daran beteiligt. Harnsäure wirkt aber auch entzündungsfördernd und führt in den Mitochondrien zu oxidativem Stress. Der Stoffwechsel der Mitochondrien verschiebt sich weg von der Atmung hin zur Glykolyse, dem Abbau von Traubenzucker zu Pyruvat, der keinen Sauerstoff benötigt. Der Sauerstoffbedarf sinkt und der Körper gerät in einen energiearmen Zustand. Winterschlaf zum Beispiel.
Bei Winterschläfern machen diese Veränderungen tatsächlich Sinn, denn sie müssen ja Energie für die lange Winterpause sammeln. Reichlich Fructose gibt es in der Natur auch genau dann, wenn diese Prozesse nötig sind, im Spätsommer und Herbst. Nur wir haben ein Problem, denn uns stehen Fruchtzucker und andere Kohlenhydrate das ganze Jahr über in großen Mengen zur Verfügung.
Quelle:
Johnson, Richard J et al. “The fructose survival hypothesis for obesity.” Philosophical transactions of the Royal Society of London. Series B, Biological sciences vol. 378,1885 (2023): 20220230. doi:10.1098/rstb.2022.0230
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