April 24, 2024

Kefir ist keyif

Kefir scheint tatsächlich eines der unbeliebtesten fermentierten Milchprodukte zu sein. Sehr zu Unrecht. Schließlich ist Kefir gesund. Und Kefir ist etwas ganz Besonderes. Er ist das Produkt einer kunterbunten Mikrobengesellschaft, die in einer Symbiose zusammenlebt und dieses leckere, cremige, leicht moussierende Milchgetränk mit seinem einzigartigen und nur schwer zu beschreibenden Geschmack produziert.

Kefir stammt ursprünglich aus dem Kaukasus und wird heute vor allem in Osteuropa, Russland und Südwestasien gerne getrunken. Das Wort Kefir stammt aus dem Türkischen.„Keyif“ bezeichnet einen Ausdruck höchster Wonne. Und so fühlt man sich wohl, wenn man Kefir getrunken hat – und das regelmäßig tut.

Kefir ist das Produkt eines artenreichen Mikrobioms

Kefir unterscheidet sich von anderen fermentierten Milchgetränken dadurch, dass es von einer sehr vielfältigen Mikrobengemeinschaft produziert wird. Da tummeln sich hauptsächlich Milchsäurebakterien und verschiedene Hefen. Und sie sind keine obdachlosen Nomaden. Sie basteln sich ein Domizil aus Proteinen und Polysacchariden, die Kefirknolle, in deren Inneren sie in einer turbulenten Wohngemeinschaft residieren.

Die Kefirknolle ist die Quelle für leckeren Kefir

Eine Kefirknolle sieht ein bisschen aus wie Blumenkohl und fühlt sich gummiartig an. Allerdings sollte man Kefirknollen nicht anfassen, um sie vor Kontaminationen zu schützen. Die Kefir-Community hat zwar antimikrobielle Aktivität, aber man muss sein Glück ja nicht herausfordern. Die Knolle besteht zu über 80 % aus Wasser, etwa 5 % Protein und rund 10 % Kefiran. Das ist ein Polysaccharid, das bestimmte Milchsäurebakterien produzieren. Bestimmte Hefen stiften es dazu an. Eine super Zusammenarbeit.

Das Mikrobiom der Kefirknolle

Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung einer Kefirknolle stellen Milchsäurebakterien dar. Das sind Bakterien, die verschiedene Zucker entweder homofermentativ zu Milchsäure oder heterofermentativ zu Milchsäure, Ethanol und Kohlendioxid vergären. Ein bisschen Essigsäure kann auch entstehen. Von Milchsäurebakterien sind 108 bis 109 cfu (colony forming units, im Prinzip einfach lebende Zellen) pro Gramm Knolle enthalten. Die zweitstärkste Gruppe sind die Hefen mit 107 bis 108 Zellen, das sind also zehnmal weniger als Milchsäurebakterien. Dann kommen Essigsäurebakterien mit immerhin noch 105 bis 106 cfu pro Gramm, also nochmal 100-mal weniger.

Die genaue Zusammensetzung der Gemeinschaft hängt von vielen Faktoren ab, der Herkunft der Knollen sowie der verwendeten Milch, der Dauer und Temperatur der Fermentation und sogar von der Stärke des Inokulums, also wie viel Kefirknolle pro Volumen eingesetzt wird.

Bakterien im Kefir

Die Hauptdarsteller im Kefir sind ganz klar verschiedene Milchsäurebakterien, nämlich Lactococcus lactis subsp. lactis, Streptococcus thermophilus, Lactobacillus delbrueckii subsp. bulgaricus, Lactobacillus helveticus, Lactobacillus casei subsp. pseudoplantarum, Lactobacillus kefiri, Lactobacillus kefir, and Lactobacillus brevis. Sie machen rund 40 bis 90 % der anwesenden Mikroorganismen aus. Manche Namen hat man schon gehört, andere sind ganz typisch für Kefir, nämlich solche, die das Wort auch im Namen tragen.

Unter den Essigsäurebakterien ist Acetobacter die dominierende Gattung. Man hielt sie früher für Kontaminanten, sie scheinen aber doch zur Standardbesetzung der Kefirknolle zu gehören. Auch Bifidobakterien findet man in Kefir. Diese Bakterien sind mit Milchsäurebakterien nicht näher verwandt, sondern stellen eine eigene Abteilung in der Systematik der Bakterien dar. Aber sie führen leben von einer Gärung, der Bifidogärung, die der heterfermentativen Milchsäuregärung sehr ähnlich ist.

Hefen im Kefir

Bei den Hefen dominieren drei Gattungen, Saccharomyces, KLuyveromyces und Candida.

Die Namen hat man sicher schon gehört. Saccharomyces cerevisiae kennen wir als Bier- und Bäckerhefe, sie kommt aber auch in Kefir vor. Kluyveromyces ist eine typische milchzuckervergärende Hefe, die auch industriell eingesetzt wird, um Laktase, das Enzym, das Milchzucker spaltet, zu gewinnen. Von Candida kommen vor allem die beiden Arten C. holmii und C. kefyr vor. Insgesamt ist die Hefepopulation weit mehr variabel als die der Bakterien.

Wie entsteht die Kefirknolle?

Ist es nicht ein kleines Wunder? Kefir kann es doch gar nicht so lange geben, denn er verdankt seine Existenz der Tatsache, dass Menschen die Milch anderer Säugetiere trinken. Das ist ein paar Tausend Jahre her, aber evolutionstechnisch nur ein Wimpernschlag. Man weiß nicht, wie die erste Kefirknolle entstand. Bisher ist es nur geglückt, bereits bestehende Knollen zu vermehren. Sie sind einfach da. Sie sind unsere mikrobiellen Hunde. ?

Kefir wird von einer Kefirknolle produziert
Kefirknolle

Was passiert in der Kefirknolle?

Na das ist ganz einfach: Jeder tut, was er kann. Die Milchsäurebakterien vergären Zucker zu Milchsäure, Ethanol und Kohlendioxid. Sie sorgen dafür, dass der Kefir sauer schmeckt. Die Hefen führen eine alkoholische Gärung durch und produzieren Ethanol und Kohlendioxid. Hefen gedeihen am besten bei 20 °C, Milchsäurebakterien sind an kuschelige 37 °C angepasst. Wer einen milderen Kefir bevorzugt, sollte die Gärung daher bei niedrigeren Temperaturen durchführen. Keine Angst, der Alkoholgehalt des Kefir bleibt trotzdem sehr niedrig, bei etwa 0,5 %.

Neben den primären Gärungsprodukten entstehen jede Menge weitere bioaktive Verbindungen, denen der Kefir wahrscheinlich seine Gesundheitspower verdankt.

Das steckt im Kefir

Die Mikroorganismen im Kefir produzieren verschiedene Stoffwechselprodukte, sie vergären Milchzucker, bauen Proteine ab, produzieren Kefiran, das Polysaccharid, aus dem ihre Knolle zum Teil besteht. Es entstehen organische Säuren, an erster Stelle Milchsäure, gefolgt von Essigsäure, außerdem Vitamine, bioaktive Peptide, Ethanol, Acetaldehyd, Diacetyl, Kohlendioxid und Bacteriocine.

Manches davon klingt gar nicht so gut. Acetaldehyd ist der Stoff, von dem man nach reichlichem Alkoholkonsum einen Kater bekommt, und Diacetyl ist ein Stoff, der bei der Milchsäuregärung entsteht, nach Butter duftet und in hohen Konzentrationen die Atemwege belasten kann. Bacteriocine sind Substanzen, meist kleine ringförmige Peptide, die Bakterien töten, indem sie ihre Zellwand durchbohren und dann laufen die aus.

Kefiran ist ein Polysaccharid, ein Vielfachzucker, der zu gleichen Teilen aus Glucose und Galactose besteht. Daran erkennt man seine Herkunft aus Milchzucker. Es ist Bestandteil der Matrix der Kefirknolle, ist aber auch im Kefirgetränk vorhanden. Kefiran wird von verschiedenen Lactobacillus Arten produziert und kann verschiedene Molekülgrößen erreichen. Es ist ein wasserlöslicher Ballaststoff, also ein Präbiotikum, für uns Säugetiere und befindet sich auch im Kefirgetränk. Als Präbiotikum nährt es unsere guten Darmbakterien. Bifidobakterien vermehren sich gut, wenn sie Kefiran abbauen können. Außerdem stärkt Kefiran die Darmschleimhaut.

Gesundheitspower Kefir

Kefir ist eine tolle Knolle, mit deren gesundheitsfördernder Wirkung sich die Wissenschaft intensiv beschäftigt, sodass all die positiven Auswirkungen auf die Gesundheit nicht mehr nur auf Überlieferungen basieren, sondern wissenschaftlich belegt sind.

Kefir wirkt antimikrobiell und antioxidativ, entzündungshemmend, immunmodulierend und fördert die Wundheilung. Er wirkt krebshemmend, senkt den Cholesterinspiegel, verbessert Fettleber und Laktoseintoleranz und wirkt sich positiv auf das Darm-Mikrobiom aus.

Das ist ein bisschen knapp, aber man könnte darüber, wie gesund Kefir ist, ganze Bücher füllen.

Welcher Kefir ist der beste?

Ganz klar: Selbstgemachter Kefir aus der eigenen Küche. Hier könnt ihr sicher sein, dass er wirklich probiotisch ist, das heißt, lebende Mikroorganismen enthält. Ihr habt sie schließlich gerade frisch von der Arbeit weg heruntergeschluckt. Sie werden es schwer haben, den Magen lebend zu passieren, aber ein paar kommen in der Regel durch.

Industriell hergestellter Kefir unterscheidet sich auch vom traditionell aus Kefirknollen hergestellten Getränk. Laut Wikipedia arbeiten die Molkereien nicht mit Kefirknollen, sondern einer definierten Mischkultur von anscheinend frei lebenden Bakterien und Hefen. Damit wird gewährleistet, dass das Getränk immer gleich schmeckt. Es unterscheidet sich auch inhaltlich von echtem Kefir. Der Industriekefir enthält kaum Alkohol, aber reichlich Lactose. Damit ist er für Leute mit Lactoseintoleranz nicht geeignet.

Kefirknolle kaufen

Um leckeren Kefir selbst zu machen, braucht ihr zunächst eine Kefirknolle. Die gibt es an jeder Straßenecke zu kaufen, bei spezialisierten Onlinehändlern oder zum Beispiel bei eBay. Da die Knollen die Eigenschaft haben, zu wachsen, wenn es ihnen gut geht, hat vielleicht auch jemand im Bekanntenkreis den ein oder anderen Spross abzugeben.

Ich hab meinen Ignaz (wir kennen uns schon so lange, dass er einen Namen hat ) bei eBay gekauft, vor vielen Jahren, für 5 €. In professionellen Shops ist er um ein Vielfaches teurer. Er kam in einem kleinen Tütchen, das je zur Hälfte mit Milch und Wasser gefüllt war und war so groß wie ein Reiskorn.

Kefir Anleitung

Beim Umgang mit einer Kefirknolle solltet Ihr halbwegs steril arbeiten. Ich koche immer alle Utensilien ab und lasse sie anschließend abkühlen, damit ich dem Ignaz keinen Hitzeschock verpasse. Das mag der gar nicht.

Also geb ich die Knolle in ein Schraubdeckelglas, das ich mit kochendem Wasser ausgespült habe, fülle es mit seiner Milch auf, schraub es zu und lass ihn bei Raumtemperatur stehen.

Man darf das Glas getrost zuschrauben. Bei der Gärung entsteht zwar auch Kohlendioxid, aber so wenig, dass es nur leicht zischt, wenn ich das Glas aufschraube. Dann solltet ihr den Kefir im Dunkeln fermentieren. Das liegt daran, dass die Milch kein Licht verträgt und sich verändert. Man kann das sogar schmecken. Sie schmeckt dann nach Licht.

Was genau eure Kefirknolle abliefern wird, hängt natürlich davon ab, womit ihr sie füttert. Meist wird das in unseren Breiten Kuhmilch sein. Aber alles ist möglich, auch Pflanzenmilch. Und sogar Zuckerwasser, aber dazu später mehr.

Die Fermentation dauert 1 – 2 Tage, je nach Temperatur und dem Verhältnis von Knolle und Milch. Auch was genau im Kefir enthalten ist, hängt von diesen Faktoren ab. Bei höheren Temperaturen überwiegt die Milchsäuregärung, die optimale Temperatur für Hefen liegt bei 20 °C.

Nach der Gärung fischt ihr die Knolle mit einem abgekochten Löffel heraus oder siebt die Flüssigkeit mit einem abgekochten Sieb ab. Dann könnt ihr die Knolle zurück in das Gärgefäß geben und mit frischer Milch auffüllen.

Nach ein paar Durchgängen könnt Ihr die Knolle mit abgekochtem Wasser spülen. Das ist vor allem nötig, wenn sich zähe Fäden um die Knolle bilden. Die sind nicht gefährlich, aber ein Zeichen, dass die Knolle Stress hatte, dann solltet Ihr das Kulturvolumen vergrößern oder die Knolle teilen.

Kefir Aufbewahrung

Irgendwann kommt der Punkt, da könnt Ihr keinen Kefir mehr sehen, das versprech ich euch. Dann könnt Ihr die gewaschenen Knolle in einem Mix aus Milch und Wasser im Kühlschrank aufbewahren. So hält er einige Monate. Manche Kefiraner frieren ihre Haustierchen auch ein. Ich selbst habe das nie ausprobiert, als Mikrobiologin glaub ich aber, dass das schwierig wird mit der Wiederbelebung.

Wenn Ihr keinen Milchkefir mehr sehen könnt, könnt Ihr mit eurer Knolle auch aus Wasser Kefir machen. Die Mikrobengesellschaften von Milch- und Wasserkefir sind sich sehr ähnlich. Mein Ignaz hat nur kurz gestutzt und schon nach der zweiten Fermentation hat er eine ziemlich leckere Limonade abgeliefert.

Wasserkefir – mein Rezept:

1 EL Zucker, 1 EL Rosinen, ½ Biozitrone in Scheiben in ein großes Schraubdeckelglas geben, mit 1L kochendem Wasser übergießen und abkühlen lassen. Dann die Kefirknolle hineingeben und 2-3 Tage fermentieren. Im Zuckerwasser dauert die Gärung etwas länger, es ist eben ein weniger reichhaltiges Medium. Ich meine, wenn sie fertig waren, sind die Knollen immer untergegangen.

Das Ergebnis erinnert im Geschmack an Bitter Lemon und schmeckt gar nicht so übel. Eigentlich sogar ziemlich lecker.

Quelle:

Bengoa, A A et al. “Kefir micro-organisms: their role in grain assembly and health properties of fermented milk.” Journal of applied microbiology vol. 126,3 (2019): 686-700. doi:10.1111/jam.14107

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