Dezember 30, 2024

Neusiedler im Darm schlüpfen ins Mikrobiom

Die Besiedelung des Darms ist kein Spiel / Bild von dograapps auf Pixabay

Mikrobiome sind überall. Nicht nur wir Tiere tragen sie auf all unseren Oberflächen. Auch Pflanzen haben ihr eigenes Mikrobiom. Und sicher auch Pilze. Ist aber schwer zu googeln. Alle Treffer beziehen sich auf die umgekehrte Rollenverteilung: Pilze als Bestandteil des Mikrobioms. Egal. Und Milchprodukte natürlich auch. Und Fleisch. Alle haben ihr eigenes Mikrobiom. Aber gibt es Überschneidungen? Kann man Bakterien essen und die siedeln sich dann im Darm an?

Bei Probiotika heißt es immer, sie würden sich nicht ansiedeln, was eine dauerhafte Einnahme erforderlich macht. Angeblich lassen sich diese Bakterien schon nach zwei Tagen nicht mehr im Stuhl nachweisen. Dabei kommen Probiotika in sehr hohen Keimzahlen in einer magensäureresistenten Kapsel daher. Okay, sie sind vielleicht verpimpelte Hochleistungsstämme. Kann schon sein, dass sie im Dschungel Darm Probleme haben, sich als Neuankömmlinge dauerhaft niederzulassen. Kolonisationsresistenz nennt man das. Dieses Problem haben auch andere, wildere Neusiedler im Darm. Die Hersteller der probiotischen Präparate wird es sicher nicht stören, wenn sie nur rastlose Durchreisende in den Darm bringen.

Update: Mittlerweile hab ich ’nen Limosilactobacillus reuteri aus einer Lutschtablette befreit. Die waren derart komatös, dass es wirklich lange gebraucht hat, bis sie sich vermehrten. Als Probiotikum geschluckt hätten sie keinen Mucks gemacht, bevor sie das Licht am Ende des Tunnels erreicht hätten. Ein echt guter Grund, warum Probiotika sich nicht ansiedeln. Sie sind mehr als halbtot.

Jedenfalls hat man wohl durchaus eine Chance, das Darm-Mikrobiom über die Ernährung zu beeinflussen. Das allerdings bestreitet auch niemand.

Lebensmittelbakterien siedeln im Darm-Mikrobiom

Jedenfalls haben Forschende die Mikrobiome vieler verschiedener Lebensmittel untersucht und mit der menschlichen Darm-Mikrobiota verglichen, denn es gab Hinweise, dass Bakterien aus der Nahrung sich im Darm ansiedeln.

Genome oder Mikrobiome (die Gesamtheit aller mikrobiellen Genome) zu erforschen ist mit den modernen molekularbiologischen Methoden schon Routine geworden und es gibt zahlreiche Datenbanken, deren Inhalt man miteinander abgleichen kann. Genau das haben die Forschenden getan.

Aus den verfügbaren Daten rekonstruierten sie über 10 000 prokaryotische (Prokaryonten sind Lebewesen ohne Zellkern, oft Bakterien) und knapp 800 eukaryontische (mit Zellkern) Genome aus Lebensmitteln. Viele davon konnten sie bestehenden Gruppen zuordnen. Diese Metagenome der Lebensmittel verglichen sie mit knapp 20 000 menschlichen Metagenomen. Metagenome sind übrigens die Genome aller Mitglieder mikrobieller Gemeinschaften in ihrem natürlichen Lebensraum.

Die Hälfte der Lebensmittelmikroben stellten bisher unbekannte, nicht kultivierte Arten dar, die in allen Lebensmittelgruppen vorkamen. Mehr als die Hälfte dieser unbekannten Arten kommen anscheinend in keinem anderen Lebensraum als Nahrung vor. Oder doch?

Kosmopoliten sind sie nicht. Aber man findet viele von ihnen im menschlichen Mikrobiom des Darmes wieder. Etwa die Hälfte der Lebensmittelbakterienarten fanden sich auch Menschen wieder. Ein kleinerer Teil im oralen Mikrobiom, die meisten im Darm.

Soziale Kontakte verbreiten Darmbakterien

Studien zeigen, dass sich die Darm – Mikrobioms von Menschen, die in engem sozialen Kontakt leben, ähneln. Bei wirklich engem Kontakt, beim Zusammenleben im selben Haushalt, stimmen knapp 14 Prozent des Mikrobioms überein. Aber auch in lockereren Verbänden, unter Freunden und Bekannten, gibt es noch zehn Prozent Übereinstimmung. Und die Bewohner eines Dorfes teilen sich noch vier Prozent der Darmbakterien, obwohl sie keinen engeren Kontakt pflegen. Die Darmbakterien verbreiten sich in sozialen Netzwerken, natürlich nur in analogen… 😉

Das ist eigentlich auch ein alter Hut. Schließlich empfiehlt man bei Stuhltransplantationen Spender aus dem näheren sozialen Umfeld, damit es keine bösen Überraschungen gibt, wenn vollkommen neue Bakterien eingeschleppt werden, die durch keine Wechselwirkungen mit anderen Symbionten in Schach gehalten werden. Aber wieder muss ich mich fragen, warum die kommerziellen Probiotika sich nicht dauerhaft im Darm ansiedeln.

Unser Verdauungssystem ist kein langer ruhiger Fluss

Wie sieht der Lebensraum aus, der unsere Darmbakterien beherbergt? Im Magen ist es quietschsauer. Man war überrascht, als sich herausstellte, dass dort trotzdem Bakterien leben können. Helicobacter pylori heißt der Spezialist, der sich in der Magenschleimhaut neutrale Nischen schafft und dort sein Dasein fristet.

Dünndarm

Im vorderen Teil des Dünndarms, dem Zwölffingerdarm, ist es nicht mehr so sauer, aber es gibt Gallensäuren und antimikrobielle Substanzen, die das Leben schwer machen. Für manche Darmbakterien sind Gallensäuren wegen ihrer oberflächenaktiven Eigenschaften tödlich, andere gedeihen prächtig in ihrer Gegenwart. Im Allgemeinen fördern Gallensäuren das Wachstum von Firmicutes und hemmen Bacteroidetes. Außerdem produziert die heftige Peristaltik schweren Seegang. Schade, denn Essen gibt es hier noch reichlich. 101 bis 103 Bakterien pro Gramm schaffen es dennoch, hier zu siedeln. Ein bisschen weiter unten, Im Jejunum (Leerdarm) und Ileum (Krummdarm) sind es dann schon 104 bis 107 Bakterien pro Gramm. Hier gibt es auch noch ein bisschen Sauerstoff. Also leben hier hauptsächlich fakultativ anaerobe (können neben Sauerstoff auch andere Verbindungen zur Atmung nutzen) Bakterien vom Stamm der Firmicutes und Proteobakterien.

Dickdarm

Im Dickdarm steigt der pH-Wert und Sauerstoff gibt es kaum noch. Hier leben die anaeroben Bakterien, die meist gemeint sind, wenn vom Darm-Mikrobiom die Rede ist. Firmicutes, vor allem Ruminokokken und Lachnospiraceen. Bacteroidetes, Actinobacteria (Bifidobakterien), ein paar Proteobakterien und Verrucomicrobia (Akkermansia).

Mit 1011 bis 1012 Bakterienzellen pro Gramm ist der Dickdarm viel dichter besiedelt. Auf die Bevölkerung von Deutschland bezogen würden im Dünndarm 80 Menschen leben, im Dickdarm 80 Millionen – und dann noch mit 1000 multipliziert.

Der gesamte Darm ist mit einer Schleimschicht, der Mucosa, ausgekleidet. Im Dünndarm ist sie eher dünn und einschichtig. Der Schleim (Mucus) wird von Becherzellen produziert, die nicht gleichmäßig im Darmepithel verteilt sind und deren Menge zum Ende hin zunimmt. Da wird mehr und zäherer Schleim produziert.

in der dünnschichtigen, flüssigeren Mucosa des Dünndarms können die Bakterien noch schwimmen und sich dann an die Epithelzellen anheften. Im Dickdarm nimmt die Viskosität der Mucosa zu. Es bilden sich sogar zwei Schichten aus. Die äußere ähnelt der des Dünndarms. Die innere ist hat eine höhere Viskosität, kleinere Poren und ist für Bakterien in der Regel nicht zugänglich.

Blinddarm

Der Blinddarm wird bei der Betrachtung der Bakterienbesiedelung des Darms gerne übersehen. Dabei ist er fast so dicht besiedelt wie der Dickdarm. Bei Pflanzenfressern ist er besonders groß. Hier werden die unverdaulichen Pflanzenfasern fermentiert und bei ihnen gibt es in dieser Abteilung viel zu tun.

Mikrohabitate im Darm

Die Bakterien sind nicht gleichmäßig im Darm verteilt. Manche Gruppen leben im Bereich zwischen den Darmzotten. Lachnospiraceae, zu denen beispielsweise Blautia oder Roseburia gehören, und Ruminococcaceae wie eben Ruminococcus. Im Darmlumen halten sich dagegen eher Bacteroidaceae, Prevotellaceae und Rikenellaceaea (z.B. Alistipes), alle vom Stamm der Bacteroidetes, auf. Manche Arten sind in der Mucosa ansässig, wie Akkermansia muciniphila und manche Bacteroides-Arten. Auch Actinobakerien und Proteobakterien mögen den Schleim.

Es besteht eine signifikante Variabilität zwischen verschiedenen Lebensräumen im Darm. Nicht nur zwischen den Randschichten und dem Inhalt. Auch Flecken, die weniger als einen Zentimeter voneinander entfernt sind, können deutliche Unterschiede in der Besiedlung zeigen.

Dass die Bakterien im Lumen nicht gleichmäßig verteilt sind, sollte man im Auge behalten, wenn es um die Analyse von Stuhlproben geht, denn die Proben werden einfach homogenisiert und Nischenbewohner sind da gerne mal unterrepräsentiert.

Wie schaffen Bakterien es überhaupt, sich im Darm anzusiedeln?

Wer im Darm ausharren will, muss sich ordentlich festhalten, oder, falls er nur einen Stehplatz im Mittelgang, dem Darmlumen, hat, sich schnell genug vermehren, um nicht ausgespült zu werden.

Adhäsion beschreibt das Andocken der Baktrien an die Oberflächen im Darm. Da gibt es zwei Möglichkeiten: spezifische und unspezifische Adhäsion.

Die unspezifische Adhäsion nutzt elektrostatische Anziehung, Gravitationskräfte oder hydrophobe, wasserabstoßende Eigenschaften von Oberflächen. Das ist eine wackelige Angelegenheit und die Bakterien werden leicht wieder abgespült.

Anders bei der spezifischen Adhäsion. Hier nutzen die Bakterien spezielle Oberflächenstrukturen auf ihrer Zelloberfläche, sogenannte Adhäsine, um an entsprechende Rezeptoren auf der Zielzelle anzudocken.

Es gibt sogar eigene Organelle auf der Zelloberfläche, die Fimbrien, die nur zu Anheftung an irgendwelche Oberflächen da sind. Sie sind in der Zellwand verankert und bedecken die Zelle wie Härchen. Aan der Spitze tragen sie Bindungsstellen, gerne für bestimmte Zucker, die sich auf der Oberfläche der Mucosa befinden.

Aber es geht auch ohne Fimbrien. Dann dienen andere Oberflächenproteine als Anker. Gemein haben beide Techniken, dass sie sehr spezifisch sind und wie Schlüssel und Schloss funktionieren.

Wenn das Andocken erfolgreich war, können die Bakterien sich dort vermehren und Biofilme bilden und eine kleine Kolonie starten.

Quellen:

Carlino, Niccolò et al. “Unexplored microbial diversity from 2,500 food metagenomes and links with the human microbiome.” Cell, S0092-8674(24)00833-X. 16 Aug. 2024, doi:10.1016/j.cell.2024.07.039

Lin Q, Lin S, Fan Z, Liu J, Ye D, Guo P. A Review of the Mechanisms of Bacterial Colonization of the Mammal Gut. Microorganisms. 2024;12(5):1026. Published 2024 May 19. doi:10.3390/microorganisms12051026

Donaldson GP, Lee SM, Mazmanian SK. Gut biogeography of the bacterial microbiota. Nat Rev Microbiol. 2016;14(1):20-32. doi:10.1038/nrmicro3552

Sidik, Saima. “Your friends shape your microbiome – and so do their friends.” Nature, 10.1038/d41586-024-03804-5. 20 Nov. 2024, doi:10.1038/d41586-024-03804-5

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