November 8, 2024

Ballaststoffe einwerfen, kurzkettige Fettsäuren ernten

Ballaststoffe können auch lecker schmecken

Gibt es etwas Langweiligeres als Ballaststoffe? Der Name sagt es doch schon. Sie regen die Verdauung an und machen lange satt, weil sie den Darm füllen. Das klingt alles ein bisschen passiv. Was man von Ballast eben erwartet. Aber in Wirklichkeit ist die ganze Angelegenheit viel eleganter. Was passiert also, wenn wir Ballaststoffe essen? Ganz einfach: Sie nähren unsere Darmbakterien. Und die sind, wie man heute weiß, ja ziemlich wichtig für unsere Gesundheit. Als Präbiotika kommen sie heute in einem moderneren Gewand daher.

Was sind Ballaststoffe eigentlich?

Der Codex Alimentarius meint, das seien Kohlenhydrate, die Polymere aus mindestens zehn Monomeren darstellen und von körpereigenen Enzymen nicht abgebaut werden können. Sie stammen meist aus Pflanzenfasern.

Welche Ballaststoffe gibt es?

Man unterscheidet unlösliche und lösliche Ballaststoffe. Klar, unlösliche Ballaststoffe lösen sich nicht in Wasser. Aber sie quellen stattdessen auf. Dazu zählen Cellulose, Hemicellulosen oder Lignin. Lignin ist aber eine phenolische Verbindung und genau genommen kein Kohlenhydrat oder Ballaststoff. Hemicellulosen sind je nach Ursprung unterschiedlich aufgebaut und enthalten verschiedene Zuckerbausteine.

Lösliche Ballaststoffe quellen nicht, sondern lösen sich in Wasser und bilden ein Gel. Zu ihnen gehören Pektine, Inulin oder β-Glucane. β-Glucane bestehen zwar ausschließlich aus Glucose, sind aber so verknüpft, dass sie für uns nicht spaltbar sind. Inulin besteht aus mehreren miteinander verknüpften Fructoseeinheiten. Der Hauptbestandteil von Pectin ist Galacturonsäure, die linienförmig miteinander verbunden ist und weitere Seitenketten trägt.

Ganz besonderer Ballast: Präbiotika

Ballaststoffe werden im Dickdarm von den Darmbakterien gespalten und fermentiert. Kommt dabei etwas für uns Nützliches heraus, spricht man von Präbiotika. Auch Präbiotika stammen meist von Pflanzen her. Aber es gibt auch welche tierischen Ursprungs, nämlich in der Muttermilch. Dort sorgen sogenannte HMO (Human Milk Oligosachharides) dafür, dass sich die Darmflora des Säuglings optimal entwickeln kann.

Präbiotika sind meist Kohlenhydrate. Aber auch Polyphenole, zum Beispiel die aus Kakao, haben vermutlich präbiotisches Potenzial.

Fructane: Inulin und FOS

Inulin und Fructooligosaccharide (FOS oder auch Oligofructose) sind präbiotische Ballaststoffe, die, abgesehenn von einem endständigen Glucoserest, ausschleißlich auslinearen Ketten von Fructose bestehen. Sie sind so verknüpft, dass wir sie nicht spalten können. Abhängig von der Molekülgröße unterscheidet man zwischen FOS mit weniger als zehn und Inulin mit bis zu 60 Fructoseeinheiten. Wie gut verschiedene Bakterien diese Fructane abbauen können hängt sehr stark von der Kettenlänge der Moleküle ab.

Inulin kommt in vielen Pflanzen als Speicherkohlenhydrat vor. Chicoree ist wohl eines der bekanntesten. Aber auch Artischocken, Topinambur, Schwarzwurzel, Pastinaken, Endivien (mit Chicoree verwandt) und Löwenzahn enthalten Inulin. Und noch etwa andere 36 000 Arten. Vor allem Milchsäurebakterien gedeihen gut mit Inulin und Co.

β-Glucane

β-Glucane gehören zu den wasserlöslichen Ballaststoffen, obwohk sie, wie Stärke und Cellulose, ausschließlich aus Glucose bestehen. Glucane sind große Moleküle, mit bis zu 250 000 Zuckereinheiten und, anders als ihre Verwandten, an anderen Kohlenstoffatomen des Zuckers miteinander verknüpft. Das macht sie für höhere Tiere, also auch uns, unverdaulich. Für die Darmbakterien sind sie aber ein echter Schmaus.

β-Glucane kommen in Hafer und Gerste (auch in Bier, so ein Glück für Freunde der Braukunst), Pilzen, Seetang, Hefe und anderen Mikroorganismen, auch bakterien, vor. Hafer, Gerste und Pilze sind aber die bedeutendsten Quellen für β-Glucane.

Galacto-Oligosaccharide

Galacto-Oligosaccharide oder kurz GOS sind präbiotische Oligosaccharide, die aus verschieden langen Ketten von Galactose, einem Bestandteil von Milchzucker, bestehen und am Ende der Kette einen Glucoserest tragen. Die bekanntesten GOS sind wohl die HMO, human milk oligosaccharides, aus der Muttermilch. Aber auch Pflanzen produzieren zum Teil Galacto-Oligosaccharide. Vor allem Hülsenfrüchte. GOS fördern das Wachstum von Bifido- und Milchsäurebakterien.

resistente Stärke

resistente Stärke ist gewöhnliche Stärke, die es aber schafft, unseren Verdauungsenzymen im Dünndarm zu entkommen. Ihre Resistenz erhält sie auf verschiedenen Wegen. Dementsprechend gibt es verschiedene, genauer fünf, Typen resistenter Stärke.

  • RS1

Typ 1 ist physisch vor dem Zugriff der Verdauungsenzyme geschüztz, zum Beispiel innerhalb einer intakten Zelle.

  • RS2

Typ 2 ist aufgrund ihrer Struktur unangreifbar für die Verdauungsenzyme und das schon im nativen, unbehandelten Zustand.

  • RS3

Beim Typ 3 handelt es sich um retrogradierte Stärke, die nach dem Erhitzen un anschließenden Abkühlen eine unangreifbare Form einnimmt. Duiese Struktur bleibt auch nach dem erneuten Erhitzen bestehen.

  1. RS4

Typ 4 der resistenten Stärke ist chemisch verändert, meist indem einzelne Stränge über Esterverbindungen verbunden sind.

  • RS5

Typ 5 resistente Stärke entsteht beim Kochen, wenn sich Komplexe mit Lipiden bilden.

Resistente Stärke wird von manchen Darmbakterien direkt, als „primary degrader“ angegriffen. Ruminococcus bromii und Bifidobacterium adolescentis sind die bekanntesten. Solche Bakterien müssen aber nicht unbedingt das ersehnte Butyrat produzieren. Das machen secondary degraders, die später in den Abbau eingreifen. Crossfeeding nennt man das. E. rectale und Roseburia gehören zu dieser Gruppe. Und noch viele mehr.

Das Werkzeug der Darmbakterien: Cazyme und PULs

Der Abbau nicht verdaulicher Kohlenhydrate ist wohl die Kernkompetenz der Darmbakterien. Sie verfügen über ein beachtliches Arsenal kohlenhydratverarbeitender Enzyme, die an auch als CAZymes bezeichnet.

Manche Darmbakterien sind echte Spezialisten und spielen eine wichtige Schlüsselrolle beim Abbau bestimmter Ballaststoffe. Ohne sie könnte der Abbau ins Stocken geraten. Diese Spezialisten gehören meist dem Stamm der Firmicutes an. Sie besitzen in der Regel wenige CAZyme. Eine Ausnahme ist Roseburia intestinalis, die über 100 – 150 CAZyme verfügt. Im Vergleich dazu ist der Mensch mit 17 CAZymen echt minderbemittelt.

Bacteroidetes und allen voran Bacteroides selbst ist dagegen ein wahrer Allrounder, der mehrere hundert CAZyme besitzt und man traut ihm zu, dass es nichts gibt, das er nicht abbauen kann.

Auch Actinobakterien, zu denen Bifidobacterium gehört, sind gut im Abbau unverdaulicher Kohlenhydrate.

Auf genetischer Ebene sind für den Abbau der Ballaststoffe sogenannte PULs verantwortlich. PUL steht für Polysaccharide Utilisation Loci und beschreibt einen Bausatz verschiedener Proteine, die für die Verwertung der Stoffe nötig sind. Dabei sind Bindeproteine, spaltende Enzyme und Transporter, die die Beute ins Zellinnere aufnehmen. So erwartet man das von Bakterien: Jeder ist sich selbst der Nächste.

Aber es geht auch anders. Manche Bakterien verhalten sich tatsächlich kooperativ und verpacken CAZyme in Pakete, sogenannte OMVs, die sie dann auf Reisen im Darm schicken. So bekommen auch weniger spezialisierte Arten etwas vom Kuchen ab. Bacteroides ist so ein Wohltäter.

Was kommt dabei raus?

Die Ballaststoffe im Dickdarm werden von den Darmbakterien hauptsächlich zu kurzkettigen Fettsäuren (SCFA) vergoren. Vor allem Acetat, Propionat und Butyrat, die typischerweise im Verhältnis 3:1:1 vorliegen. Es wird also hauptsächlich Acetat gebildet. Verschiedene Bakterien nutzen dazu verschiedene Zwischenprodukte bzw. Ausgangsstoffe und produzieren verschiedene SCFA.

  • Butyrat

Butyrat ist die wohl bekannteste kurzkettige Fettsäure. Sie wird hauptsächlich von Angehörigen der Firmicutes, vor allem Faecalibacterium prausnitzii, Eubacterium rectale und Roseburia spec. produziert.

Butyrat dient den Zellen Darmzellen als Nährstoff und stärkt die Darmbarriere. Auch, indem es regulatorisch in die Aktivität von Genen eingreift.

  • Acetat

Acetat wird von vielen Darmbakterien gebildet: Prevotella, Ruminococcus,

Bifidobacterium, Bacteroides, Clostridium, Streptococcus, Akkermansia und

Blautia hydrogenotrophica.

  • Propionat

Propionat wird aus Succinat von Bacteroidetes und einigen Firmicuten gebildet.

Roseburia, Blautia, Eubacterium hallii (Anaerobutyricum heißt das heute) und Akkermansia nutzen andere Wege, sind aber ebenfalls wichtige Propionatbildner.

Propionat und Acetat werden resorbiert, über den Blutkreislauf in die Leber transportiert und dort weiter verarbeitet.

Hohe Levels an kurzkettigen Fettsäuren werden im Allgemeinen mit einem guten Gesundheitszustand in Verbindung gebracht. Bei einer ballaststoffarmen Ernährung kann es passieren, dass die Bakterien, die SCFA produzieren, im Darm-Mikrobiom abnehmen und der Spiegel sinkt. Das wollen wir nicht. Also rein mit den Ballaststoffen.

Quelle:

Bedu-Ferrari, Cassandre et al. “Prebiotics and the Human Gut Microbiota: From Breakdown Mechanisms to the Impact on Metabolic Health.” Nutrients vol. 14,10 2096. 17 May. 2022, doi:10.3390/nu14102096

Davani-Davari, Dorna et al. “Prebiotics: Definition, Types, Sources, Mechanisms, and Clinical Applications.” Foods (Basel, Switzerland) vol. 8,3 92. 9 Mar. 2019, doi:10.3390/foods8030092

Jayachandran, Muthukumaran et al. “A critical review on the impacts of β-glucans on gut microbiota and human health.” The Journal of nutritional biochemistry vol. 61 (2018): 101-110. doi:10.1016/j.jnutbio.2018.06.010

Dobranowski, Peter A, and Alain Stintzi. “Resistant starch, microbiome, and precision modulation.” Gut microbes vol. 13,1 (2021): 1926842. doi:10.1080/19490976.2021.1926842

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