Fruchtzucker hat ja neuerdings keinen guten Ruf. Zurecht. Inulin besteht fast ausschließlich aus Fruchtzucker und dennoch ist es ein wertvolles Nahrungsmittel, wenn auch nicht für uns. Aber natürlich profitieren wir selbst auch davon, wenn wir diesen präbiotischen Ballaststoff auf den Teller packen.
Was ist Inulin?
Inulin ist ein wasserlöslicher Ballaststoff, der aus linearen Fruchtzuckerketten mit einer endständigen Glucose besteht. Die sind so verknüpft, dass wir sie nicht spalten können.
Inulin gibt es in zwei Varietäten, oder, chemisch, Polarisierungsgraden: kurzkettig mit bis zu zehn Fructoseeinheiten, und langkettig mit einer Kettenlänge von bis zu 60 Fructosemolekülen. Die Kettenlänge entscheidet über die physikalischen Eigenschaften, wie Löslichkeit oder Viskosität, des Makromoleküls.
Und die Kettenlänge hängt wiederum von verschiedenen Faktoren ab. Natürlich produziert jede Pflanze ihr eigenes, typisches Inulin. Aber das ist nicht immer gleich und hängt vom Alter der Pflanze, Klima oder Jahreszeit ab und wird den physiologischen und energetischen der Pflanze angepasst. Das Inulin, das von derselben Pflanze produziert wird, kann sehr unterschiedlich sein. Auch die Extraktionstechnik wirkt sich auf den Polymerisierungsgrad aus. Das kann der Pflanze zwar egal sein, nicht aber den Experimentierenden. Die produzieren reihenweise widersprüchliche Ergebnisse. Und das könnte eine der Ursachen dafür sein.
Verschiedene Pflanzenfamilien produzieren Inulin, vor allem Liliaceae, Amaryllidaceae und Asteraceae. Liliaceae sind Liliengewächse, zu denen auch Zwiebeln gehören. Deswegen sind Speisezwiebeln, Lauch und Knoblauch gute Inulinquellen. Amaryllidaceae sind Narzissengewächse. Da sind viele giftige dabei. Aber Spargel ist ein entfernter Verwandter aus der Ordnung der Asparagales, und ebenfalls eine gute Quelle. Asteraceae sind Korbblütler. Artischocke, Löwenzahn, Topinambur und Zichorie gehören zu dieser Familie.
Die Wegwarte, Cichorium intybus, ist die Wildform des Chicoree und eine der wichtigsten natürlichen Inulinquellen. Etwa 20% des Nassgewichts, 80 % des Trockengewichts der Wurzeln macht es aus. Ein guter Grund mal wieder Zichorienkaffee zu trinken.
Inulin wirkt sich positiv auf unsere Gesundheit aus
Mit der Einnahme von Inulin verbessern sich manche anthropometrische Parameter. (Das sind unsere „Messwerte“: Größe, Gewicht, BMI, Taillenumfang, u.s.w.) Oft nehmen Körpergewicht und BMI mit der Einnahme ab. Aber nicht immer. Die berühmten widersprüchlichen Ergebnisse. „Inconsistent data“ heißt es dann.
Inulin kann aber auch die Insulinwerte im Blut senken und die Insulinsensitivität verbessern. In vielen Studien verbessert Inulin den Glucosestoffwechsel insgesamt, und das über eine weite Spanne von Dosierungen und Zeiträumen. Diese Ergebnisse scheinen also ziemlich stabil zu sein.
Inulin wirkt sich auch positiv auf die Blutfette aus, kann LDL, Gesamtcholesterin und Triglyceride im Blut senken. Über einen längeren Zeitraum eingenommen steigert es auch das gute HDL, während kurzzeitige Interventionen keine Effekte zeigten.
Der Entzündungsstatus verbessert sich mit Inulin. Entzündungsfördernde Zytokine nehmen ab, entzündungshemmende zu.
In Kombination mit anderen „gesunden“ Komponenten lässt sich die Wirkung von Inulin sogar noch steigern. Besonders stark ist der Effekt mit Oligofructose. Auch Catechine aus Grüntee verbessern den Effekt von Inulin. Propionat verbessert die Inulinwirkung nur bei lange andauernder Einnahme. Aber wenn es wirkt, fördert es die Freisetzung der Sättigungshormone GLP-1 und PYY.
(Rezeptvorschlag, nicht ganz ernst gemeint: Chicoreesalat (Inulin) mit Zwiebeln (Inulin, Oligofructose) und Emmentaler (Propionat), dazu ein grüner Tee (Catechine). 🙂 )
Inulin hilft bei der Gewichtsreduktion, verbessert den Zuckerstoffwechsel und wirkt entzündungshemmend.
Kann es noch etwas?
In der Tat. Der bifidogene Inulineffekt wirkt sich auch günstig bei chronischen Nierenerkrankungen aus. Auch bei chronischer Verstopfung verbessert es die Darmfunktion und normalisiert den Stuhlgang, wie eine Metastudie zeigte. Die entzündungshemmende Wirkung kann auch bei entzündlichen Darmerkrankungen ( Morbus Crohn und Colitis ulcerosa) helfen. Allerdings sind die Daten mal wieder kontrovers.
Welche Darmbakterien reagieren auf den Ballaststoff?
Wir können mit Inulin ja gar nichts anfangen. Wie kann es da gesund sein? Natürlich sind mal wieder die Darmbakterien am Werk. Inulin ist ein Ballaststoff und der füttert Darmbakterien. Wer in der Lage ist, die Fructosekette zu knacken, darf sich an den Monomeren laben. Viele Studien ergeben, dass sich vor allem Bifidobakterien vermehren. Dabei scheint allerdings der Gesundheitszustand des Wirts eine Rolle zu spielen. Bei Gesunden, die vier Wochen lang 20 g Inulin täglich zu sich nahmen, vermehrten sich die Bifidobakterien stark. Bei Probanden mit Stoffwechselstörungen oder mit einer gewohnheitsmäßig ballaststoffarmen Ernährung konnte dieselbe Tagesdosis auch nach sechs Wochen keinen Effekt erzielen.
Außer Bifidobakterien vermehrt sich auch Anaerostipes. Das ist ein Darmbakterium, das zur Familie der Lachnospiraceae gehört. Es wird mit positiven physiologischen Veränderungen, wie einem verbesserten Zuckerstoffwechsel und entzündungshemmenden Eigenschaften in Verbindung gebracht.
Insgesamt steigt die Bevölkerungsdichte im Darm, wenn Inulin zur Verfügung steht. Der pH sinkt, denn die Bakterien produzieren Milchsäure und Essigsäure und das saure Milieu schützt vor der Vermehrung von unerwünschten oder sogar pathogenen Bakterien. Clostridien nehmen ab. Das verbessert den Entzündungsstatus und die Darmgesundheit insgesamt.
Eigentlich sollten auch die kurzkettigen Fettsäuren (SCFA) zunehmen. Das beobachtet man aber nicht. Die Forschenden erklären das damit, dass oft Stuhlproben untersucht werden und die SCFA ja von den Enterozyten schon verbraucht sein könnten.
Kann man den Inulineffekt noch steigern?
Wenn Inulin und Propionat gleichzeitig vorhanden sind vermehren sich überraschenderweise keine Bifidobakterien, und – wir erinnern uns – der Inulineffekt bleibt auch erstmal aus. Aber andere Bakterien vermehren sich: Bacteroides, Anaerostipes, oder Blautia. Die werden aber auch mit einer verbesserten Insulinwirkung in Verbindung gebracht.
In Kombination mit Oligofructose vermehren sich Bifidobakterien und es passiert genau dasselbe wie mit Inulin allein, nur stärker. Die Kombination von Inulin uhnd Oligofructose vermehrt auch F. prausnitzii, einer der geschätztesten Wohltäter im Darm.
Wie setzt Inulin seine wunderbaren Kräfte um?
Das weiß man noch nicht so genau. Es gibt Studien an Zellkulturen und Tiermodellen, aber ob die Erkenntnisse auch für Menschen gelten ist nicht belegt.
In erster Linie wirkt Inulin wohl über die Modulation der Darmbakterien. Wer kann fermentiert die Fructosebausteine. Das ist in erster Linie Bifidobacterium. Es hat gleich mehrere Enzyme für diesen Zweck. Trotzdem variiert die Fähigkeit, Inulin abzubauen von Art zu Art und sogar Stamm zu Stamm.
Fructose wird von Bifidobakterien, die eine Art Milchsäuregärung durchführen, zu Milchsäure und Acetat abgebaut.
Acetat gehört schon zu den kurzkettigen Fettsäuren. Lactat wird von anderen Bakterien, zum Beispiel Anaerostipes, weiter verwertet zu Butyrat und Propionat.
Propionat und Butyrat sind kurzkettige Fettsäuren, die über bestimmte Rezeptoren, GPR41 und GPR 43, in unseren Stoffwechsel eingreifen. Das sind Fettsäurerezeptoren, die unter anderem in der Bauchspeicheldrüse aktiv sind. Deswegen der günstige Effekt auf den Zuckerstoffwechsel.
Quelle:
Alonso-Allende J, Milagro FI, Aranaz P. Health Effects and Mechanisms of Inulin Action in Human Metabolism. Nutrients. 2024 Sep 2;16(17):2935. doi: 10.3390/nu16172935. PMID: 39275251; PMCID: PMC11397174.
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