April 28, 2024

L. reuteri – vom Darm bis zu den Zähnen

L. reuteri ist ein bewährtes Probiotikum

L. reuteri ist ein Milchsäurebakterium, das mittlerweile auf eine lange Karriere als Probiotikum zurückblicken kann. Milchsäurebakterien gibt es ja fast überall und nicht, wie der Name vermuten lässt, in Milch. Freilebende Milchsäurebakterien werden seit Jahrtausenden genutzt, um Lebensmittel haltbar zu machen. Sie produzieren Milchsäure, säuern damit die Umgebung an und hindern schädliche Bakterien damit daran, sich zu vermehren. Fermentiertes enthält lebende Milchsäurebakterien, deswegen ist es so gesund.

Denn Milchsäurebakterien sind häufig auch probiotisch.

L. reuteri gehört zur natürlichen Darmflora und hat keine Probleme, sich dort anzusiedeln und zu vermehren. Es besiedelt neben dem Menschen den Verdauungstrakt verschiedener anderer Tiere. Man findet es auch im Urogenitalsystem, auf der Haut, dem Mund und in der Muttermilch.

Früher zählte L. reuteri zur sehr artenreichen Gattung Lactobacillus. Die Gattung hat man aber vor wenigen Jahren in verschiedene, enger umfasste Gattungen aufgeteilt und so hört L. reuteri heute auf den Namen Limosilactobacillus. Viele Forschende halten sich aber bisher nicht daran und die Bezeichnung Lactobacillus ist weiterhin gebräuchlich.

Wie qualifiziert sich L. reuteri als Probiotikum?

L. reuteri ist ein heterofermentatives Milchsäurebakterium, das neben Milchsäure noch weitere organische Säuren, Ethanol und Kohlendioxid produziert. Die Säureproduktion und die damit einhergehende Ansäuerung des Milieus bewirkt auch im Darm, dass pathogene Bakterien die Vermehrung erschwert wird.

Außerdem produziert L. reuteri weitere Moleküle, die sich hemmend auf das Wachstum von Bakterien auswirken. Bacteriocine zum Beispiel, die wie kleine Dolche „feindliche“ Zellen einfach aufschlitzen.

Mit Reuterin besitzt L. reuteri eine weitere antibakterielle Waffe. Das Molekül ist auch als 3-Hydroxypropionaldehyd [3-HPA] bekannt. Es entsteht im Zuckerstoffwechsel und dient dazu, die Versorgung mit Coenzymen aufrechtzuerhalten.

Wie viele probiotische Bakterien wirkt L. reuteri entzündungshemmend und auf das Immunsystem des Wirts ein. Es bindet an verschiedene Rezeptortypen auf der Zelloberfläche und gibt sich so als freundlicher Kommensale zu erkennen.

Und was kommt für den Wirt noch dabei raus?

Mehrere Studien zeigen, dass sich L. reuteri positiv auf verschiedene systemische Erkrankungen auswirken kann. Leider sind die Ergebnisse nicht immer konsistent. Das liegt möglicherweise daran, dass verschiedene Stämme verwendet wurden. Stämme bezeichnet hier Bakterien derselben Art, die sich genetisch geringfügig unterschieden. Nicht zu verwechseln mit den großen Stämmen, wie Bacteroidetes oder Firmicutes. Diese Unterteilungen entsprechen im Tierreich sowas wie Wirbeltiere oder Weichtiere (Schnecken, Muscheln).

L. reuteri und das Übergewicht

Eine Gruppe zeigte, dass ein bestimmter Stamm zur Abnahme des Körpergewichts, des Fettgewebes und der Größe der Fettzellen führte. Außerdem hemmte er die Neubildung von Fettgewebe auf genetischer Ebene. Ein anderer Stamm führte zu einer vermehrten Ausscheidung von Fettsäuren mit dem Stuhl.

Andere Ergebnisse zeigten, dass L. reuteri im Darm von Übergewichtigen zu stark vertreten ist, während es an Bifidobakterien und Methanobrevibacter smithii mangelt.

Ein Stamm, der gegen das Antibiotikum Vancomycin resistent ist und sich entsprechend nach einer Therapie vermehrt, ist ein Marker für die der Behandlung folgende Gewichtszunahme.

Andererseits führt eine Ernährung, die L. reuteri gute Wachstumsbedingungen bietet, zu Gewichtsverlust.

Glucosestoffwechsel und Insulinsensitivität

Eine Studie zeigte, dass eine tägliche Dosis L. reuteri die Bauchspeicheldrüse stärkt und die Sekretion von Insulin steigert. Das funktioniert über eine gesteigerte Freisetzung von Inkretin im Darm. Inkretin, ist ein Hormon, dass im Darm produziert wird und auf die Bauchspeicheldrüse wirkt.

Weitere Studien zeigten, dass L. reuteri den Blutzuckerspiegel, Insulinresistenz und Leptinspiegel senken kann. Derselbe Stamm reduziert Clostridien und Bacteroidetes im Darm, während sich Bifidobakterien und andere Lactobacilli vermehren.

Modulation der Darm-Mikrobiota

Probiotische Mikroorganismen kenne drei Strategien, ihre Gesellschaft zu beeinflussen: Sie konkurrieren mit ihrer Nachbarschaft um Nahrung und Raum und verdrängen so möglicherweise für den Wirt schädliche Bakterien.

Auch verschiedene Produkte des eigenen Stoffwechsels könne helfen, andere zu vertreiben. Messerscharfe Bacteriocine etwa, oder biogene Amine oder organische Säuren.

Eine andere Möglichkeit, für eigenen Lebensraum zu sorgen, ist, den anderen das Immunsystem des Wirts an den Hals zu binden. Dazu aktivieren sie beispielsweise T-Lymphozyten, die Infektionen direkt angreifen. Oder sie veranlassen die Bildung von Zytokinen oder aktivieren die Phagozytose ihrer Konkurrenten durch Abwehrzellen des Wirts. Sie könne die Sekretion von IgA stimulieren. Dieser Antikörper ist in Körpersekreten, wie sie auch in den Darm abgegeben werden, aktiv. Der Wirt kann auch dazu angeregt werden, andere antimikrobielle Moleküle zu bilden.

L. reuteri bedient sich hier verschiedener Rezepturen und beteiligt sich mit Milch- oder Essigsäure, Ethanol, Histamin (biogenes Amin, „geköpfte“ Aminosäure Histidin) oder der Eigenmarke Reuterin oder dem nah verwandten Reutericyclin, seinem arteigenen antimikrobiellen Wirkstoff.

Diese Stoffe wirken gegen verschieden bakterielle Infektionen, darunter auch E.coli, Salmonella und Clostridium difficile, die echt lästig werden können.

L. reuteri schützt die Leber

Probiotika schützen die Leber, indem sie die Darmbarriere stärken und verhindern, dass schädliche Endotoxine (zum Beispiel LPS, Lipoplysacharide, ein Bestandteil der Zellwand bestimmter Bakterien) in die Leber gelangen und dort die Produktion entzündungsfördernder Zytokine anregen.

Für L. reuteri hat sich gezeigt, dass es das Vorkommen bestimmter Enzyme (Gamma-Glutamyl Transferase, Serum-Alanin Aminotransferase, Aspartat-Aminotransferase), die aus geschädigten Leberzellen freigesetzt werden, senken kann.

L. reuteri und die Darm-Hirn Achse

Verschiedene Darmbakterien produzieren Neurotransmitter, wie GABA, Serotonin, Acetylcholin oder Katecholamine (Dopamin, Noradrenalin, Adrenalin). Das tun sie im Darm. Forschende wissen nicht so recht, wie, sind aber ziemlich sicher, dass die Wirkung dieser Botenstoffe bis ins Gehirn reicht. Schließlich stehen Bauchhirn und Kopfhirn über den Vagusnerv in Verbindung und die Informationen auf dieser Achse laufen zu etwa 90 % vom Darm in den Kopf.

Kurzkettige Fettsäuren, wie sie von vielen Darmbakterien produziert werden, beeinflussen erwiesenermaßen die Entwicklung und Funktion von Mikrogliazellen im Gehirn. Mikrogliazellen sind multifunktionale Zellen im Gehirn, die alles machen, außer Nervenreize übertragen, könnte man salopp sagen.

Bei psychiatrischen Erkrankungen liegt oft ein verändertes Darm-Mikrobiom vor, mit geringerer Diversität und einem eher höheren Anteil schädlicher Bakterien.

In einem Tiermodell für Autismus wurde gezeigt, dass bei der Störung deutlich weniger Lactobacilli vorhanden waren. Die Häufigkeit von L. reuteri korrelierte aber mit der Menge an GABA Rezeptoren im Gehirn. Das für Autismus typische, sozial eingeschränkte Verhalten korreliert damit ebenfalls – und zwar negativ.

L. reuteri und entzündliche Darmerkrankungen

Zwischen entzündlichenn Darmerkrankungen, zu denen Morbus Crohn und Colitis ulcerosa zählen, und der Zusammensetzung des Darm-Mikrobioms besteht ein enger Zusammenhang. Betroffene beherbergen mehr schädliche Bakterien, wie Enterobakterien (E. coli) oder Bacteroides während die nützlichen Firmicutes unterrepräsentiert sind. (Ja, das steht da tatsächlich. Ein hohes Bacteroides : Firmicutes Verhältnis wird oft als Maßstab für eine gesunde Darmflora herangezogen. Ich verstehe nicht warum. Vermutlich ist das überholt. Fragen wie: „Was tun gegen Firmicutes Bakterien?“ oder „Wie reduziere ich Firmicutes?“ sollte man sich nicht stellen. )

Aber zurück zum Thema. Die Diversität der Darmbakterien ist bei den Betroffenen geringer. Es mangelt an Produzenten von kurzkettigen Fettsäuren.

L. reuteri kann hier helfen, im Darm wieder ein gesundes Gleichgewicht einzustellen. Neben den bekannten Mechanismen der Siedlungspolitik helfen möglicherweise biogene Amine unter bestimmten Kulturbedingungen die Entzündungen im Darm zu lindern. Insgesamt werden entzündungsfördernde Gene weniger stark abgelesen.

L. reuteri und cystische Fibrose

Auch bei Cystischer Fibrose ist das Gleichgewicht der Bakterien im Darm gestört. Vor allem Proteobakterien, die sonst nur eine untergeordnete Rolle spielen, sind stark vertreten. Die Darmmotilität ist bei Patienten gestört und im Dünndarm reichern sich unerwünschte Bakterien an. Hier kann L. reuteri helfen, das Gleichgewicht wieder herzustellen.

L. reuteri im oralen Mikrobiom

Parodontitis ist eine echt fiese Erkrankung des Zahnhalteapparates. Sie wird von nur wenigen verschiedenen Bakterien gefördert, die sich in Zahnfleischtaschen niederlassen und Entzündungen und Zahnfleischschwund fördern. Porphyromonas gingivalis ist wohl die bekannteste.

Parodontitis wird wohl in der Regel mit antimikrobiellen Wirkstoffen behandelt, um die Erreger zu eliminieren. Neuerdings setzt man auch auf probiotische Behandlung, mit dem Zweck, die schädlichen Bakterien durch kommensale zu ersetzen.

Ein probiotischer Joghurt, der Bifidobacterium animalis enthielt, konnte innerhalb von vier Wochen alle Krankheitsparameter signifikant verbessern. Aber auch L. reuteri, zweimal täglich in Form einer Lutschpastille, kann die Krankheitsparameter von Parodontitis verbessern. Das zeigten verschiedene, wenn auch nicht alle, Studien. Es gibt mittlerweile sogar einen spezifischen Stamm, L. reuteri prodentis, der zu diesem Zweck erhältlich ist.

Quellen:

Abuqwider, Jumana et al. “Limosilactobacillus reuteri in Health and Disease.” Microorganisms vol. 10,3 522. 28 Feb. 2022, doi:10.3390/microorganisms10030522

Ochôa, Carlota et al. “Influence of the Probiotic L. reuteri on Periodontal Clinical Parameters after Nonsurgical Treatment: A Systematic Review.” Microorganisms vol. 11,6 1449. 30 May. 2023, doi:10.3390/microorganisms11061449

2 Gedanken zu “L. reuteri – vom Darm bis zu den Zähnen

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