April 18, 2024

Kurzkettige Fettsäuren sind einflussreiche Multitalente

Butyrat ist eine kurzkettige Fettsäure

Kurzkettige Fettsäuren machen den Darm gesund, stärken die Darmbarriere und ernähren die Zellen der Darmwand, die Kolonozyten. Das ist prima, stimmt sogar, aber es ist lange nicht das Ende der Geschichte.

Kurzkettige Fettsäuren sind enorm wichtige Stoffwechselprodukte, die die Darmbakterien aus den Ballaststoffen in unserer Nahrung herstellen. Und sie sind nicht nur im Darm aktiv. Überall im Körper entfalten kurzkettige Fettsäuren ihre Wirkung.

Was sind kurzkettige Fettsäuren eigentlich?

Kurzkettige Fettsäuren sind kurze Carbonsäuren, die aus bis zu sechs Kohlenstoffatomen bestehen. Das fängt also mit Ameisensäure an, die ein Kohlenstoffatom besitzt und endet mit Capronsäure aus sechs C-Atomen. Das nur der Vollständigkeit halber. Für unseren Stoffwechsel sind nur drei davon, Essigsäure (Acetat, zwei C-Atome), Propionsäure (Propionat, drei C-Atome) und Buttersäure (Butyrat, vier C-Atome) wichtig. Sie stellen zusammen über 95 % der stoffwechselaktiven kurzkettigen Fettsäuren und werden von den Darmbakterien in einem konstanten Verhältnis von 60 : 20 : 20 produziert.

Wenn dieses Verhältnis nicht stimmt, kann das auf eine Dysbiose hinweisen, ein Ungleichgewicht im Zusammenspiel der Darmbakterien. Befinden sich zu wenige Produzenten oder ihre Produkte im Darm, geht das oft mit verschiedenen Krankheiten einher, wie Diabetes Typ 1 oder 2, Leberzirrhose, Reizdarm oder Atherosklerose. Es lohnt sich also, kurzkettige Fettsäuren beziehungsweise ihre Produzenten im Auge zu behalten.

Im englischsprachigen Raum sind sie übrigens als short chain fatty acids bekannt, oder kurz SCFA.

Der Schicksalsweg kurzkettiger Fettsäuren

Wo kommen SCFA her?

Wie bereits erwähnt sind kurzkettige Fettsäuren die Produkte bakterieller Fermentation im Dickdarm. Die Bakterien vergären lösliche und unlösliche Ballaststoffe mithilfe ihrer Cazyme, kohlenhydrataktiver Enzyme, die fast jede noch so verzwickte Struktur spalten können. Manche Arten könne im Notfall auch körpereigene Mucine verwetten oder Aminosäuren aus Proteinen vergären

Acetat können die allermeisten Darmbakterien produzieren. Ein bekannter Vertreter ist vielleicht Akkermansia muciniphila.

Die Synthese von Butyrat und Propionat ist auf weniger, mehr spezialisierte Arten beschränkt. Dazu zählen zum Beispiel Clostridiales oder Eubacterium und Roseburia, die zur Familie der Lachnospiraceae gehören. Auch Faecalibacterium ist ein wichtiger Butyratbildner. Akkermansia kann neben Acetat auch Propionat produzieren.

Selbstverständlich kann man kurzkettige Fettsäuren auch essen. Acetat ist reichlich in Essig vorhanden, Butyrat in Butter und anderen Milchprodukten, Propionat in Emmentaler Käse. Aber die wichtigste Quelle sind die Stoffwechselprodukte unserer Darmbakterien.

Wo gehen SCFA hin?

Die Ernte der kurzkettigen Fettsäuren wird über verschiedene Transportproteine zunächst in die Darmzellen aufgenommen. In den Zellen des Darmepithels stellt Butyrat einen Großteil der Energieversorgung. Es wird in den Mitochondrien in die Zellatmung eingeschleust. Was übrig bleibt, verlässt die Zelle auf demselben Weg, wie es aufgenommen wurde, nur auf der anderen Seite und gelangt in den Blutstrom. Dadurch stehen kurzkettige Fettsäuren fast jedem Gewebe zur Verfügung. Sie können sogar die Blut-Hirn-Schranke überwinden und ins Gehirn gelangen.

Auf den Zelloberflächen vieler Gewebe gibt es Rezeptoren, Proteine, an die die kurzkettigen Fettsäuren binden. Alle drei verhalten sich ähnlich, aber Butyrat scheint wohl die größte Bedeutung zu haben, wenn es darum geht, was noch alles passiert.

Die Rezeptoren, an die die kurzkettigen Fettsäuren binden, heißen FFAR2 (oder auch GPR43) und FFAR3 (GPR41). FFAR steht für free fatty acid receptor, GPR bedeutet, dass es sich um G-Protein gekoppelte Rezeptoren handelt. Sie sind die Vermittler zwischen äußeren Signalen, übertragen diese über die Zellmembran und aktivieren im Inneren weitere Moleküle, sodass die Signale im Inneren der Zelle Informationen transportieren und Aktionen auslösen.

Solche Rezeptoren gibt es auf der Zelloberfläche von Herz- oder Muskelzellen, Immunzellen, Fettzellen oder Nervenzellen, Sie sind wohl wirklich weit verbreitet, dementsprechend weit reicht auch der Einfluss von kurzkettigen Fettsäuren auf unseren Stoffwechsel. Manchmal wirken sie hemmend, manchmal aktivierend auf das Stoffwechselgeschehen.

Wie wirken kurzkettige Fettsäuren?

Kurzkettige Fettsäuren wirken sich in erster Linie auf die Genregulation aus.

Schätzungsweise 5-20 % der menschlichen Gene werden in irgendeiner Weise von Butyrat reguliert.

Die DNA liegt im Zellkern nicht offen da, sondern ist ähnlich wie ein Wollknäuel um Proteine, die Histone gewickelt. Das spart Platz, blockiert aber auch den Zugang zu den aufgewickelten Genen. Die DNA wickelt sich besonders gut um die Proteine, wenn diese Ladung elektrische Ladung tragen, denn die DNA selbst ist auch geladen. Diese geladenen Bereiche der Proteine werden gelegentlich durch Seitenketten, genauer Acetyl. Reste, ausgeglichen, sodass die Histone weniger gut an der DNA anliegen. Die Chromosomen entknäueln sich und die Gene können abgelesen werden.

Butyrat und weniger stark ausgeprägt auch Propionat hemmen die Enzyme, die die ungeladenen Seitenketten von den Histonen abspalten. Dadurch wird das Ablesen der Gene möglich.

Kurzkettige Fettsäuren fördern also insgesamt die Acetylierung der Histone und ermöglichen damit die regulierte Expression der Gene, indem sie den Transkriptionsfaktoren ermöglichen, an den Promotor, den regulatorischen Bereich eines Genes, zu binden.

Butyrat ist selbst Transkriptionsfaktor

Neuer Studien zeigen, dass Butyrat nicht nur die Gene ausgräbt, sondern auch selbst an deren Promotor bindet und die Enzyme anlockt, die das Gen für die Proteinsynthese abschreiben.

Was machen kurzkettige Fettsäuren aus diesen Fähigkeiten?

Sie stärken die Darmbarriere.

Zunächst einmal nähren sie, wie bereits erwähnt, die Zellen des Darmepithels, die Kolonozyten. Diese Zellschicht hat die Aufgabe, den Stofftransport zu regulieren und organisieren. Um die Kontrolle zu bewahren, muss das Darmepithel dicht sein. Zu diesem Zweck sind die Zellen seitlich über sogenannte Tight Junctions miteinander verbunden. Das sind quasi Stöpsel, die die Zellen seitlich (ziemlich) dicht miteinander verbinden. Tight Junctions bestehen aus verschiedenen Proteinen, deren Produktion durch Butyrat angeregt wird.

Ganz nebenbei schaffen kurzkettige Fettsäuren im Darm ein Milieu, das das Wachstum schädlicher Bakterien unterbindet, denn sie sind nahrhaft und erhöhen dadurch den Sauerstoffverbrauch der Zellen. Das behindert manche Opportunisten und begünstigt die Kommensalen.

Sie locken Sättigungshormone.

Im Darmepithel gibt es auch sogenannte enteroendokrine Zellen, die, wie der Name sagt, Hormone bilden. Im Darm sind das Hormone, die Nahrungsaufnahme, Insulinsekretion und die Darmfunktion regulieren. Kurzkettige Fettsäuren, oder auch ihre „Vorläufer“, Ballaststoffe, erhöhen die Menge solcher zirkulierenden Verdauungshormone. Auf der Oberfläche der enteroendokrinen Zellen gibt es Rezeptoren für kurzkettige Fettsäuren. Und die Stimulation durch Butyrat und Co. steigert die Sekretion von Hormonen, vor allem GLP-1 und PYY. GLP-1 ist ein Hormon, das die Ausschüttung von Insulin und das Sättigungsgefühl fördert. PYY wirkt ähnlich sättigend, wird aber als Reaktion auf Nahrungsfette abgegeben.

Kurzkettige Fettsäuren fördern nicht nur die Freisetzung der Hormone, sondern sorgen erhöhen langfristig auch die Anzahl der Hormon produzierenden endokrinen Zellen.

Butyrat hemmt außerdem die Pyruvat-Dehydrogenase. Das ist das Enzym, das dafür verantwortlich ist, dass aus Traubenzucker stammende Stoffwechselprodukte in die Atmung eingeschleust werden. Ist die PDH, wie sie abgekürzt wird, gehemmt, fließen stattdessen die aus Fett stammenden Moleküle in die Atmung. Es fördert also die Fettverbrennung.

Das könnten die Gründe sein, weswegen eine Ernährung, die reichlich Ballaststoffe oder eben kurzkettige Fettsäuren enthält, im Allgemeinen mit einer schlanken Statur einhergeht, denn:

kurzkettige Fettsäuren haben großen Einfluss auf den Fettstoffwechsel

Nur ist noch nicht ganz klar, wie das alles zusammenhängt. Propionat kann jedenfalls helfen, viszerales Fett, das gefährliche Bauchfett, das die Organe umschließt, abzubauen. Kurzkettige Fettsäuren hemmen auch die Einlagerung von Fett in die Fettzellen des weißen Fettgewebes. Die Zellen sind dann kleiner und reagieren besser auf Stoffwechselreize und die Entzündungen, die bei Fettleibigkeit immer latent vorhanden sind, gehen zurück.

Acetat stimuliert die Freisetzung des Sättigungshormons Leptin. Allerdings zirkuliert bei Fettleibigkeit eher zu viel von diesem Hormon, nur sind die Zellen dafür blind und taub. Acetat hemmt auch die Lipolyse im Fettgewebe. Dadurch sinken die freien Fettsäuren im Blut und die Leber erfährt einen gewissen Schutz vor Verfettung.

Im Fall von Übergewicht ist man sich noch nicht sicher, welche Rolle kurzkettige Fettsäuren spielen. Immerhin steuern die aus Ballaststoffen stammenden kurzkettigen Fettsäuren etwa zehn Prozent der Nahrungskalorien bei. Andererseits steht fest, dass eine ballaststoffreiche Ernährung, die viele kurzkettige Fettsäuren liefert, vor Gewichtszunahme schützt.

Aber den Zucker halten sie stabil, indem sie sich positiv auf den Leberstoffwechsel auswirken.

Außerdem…

…wirken sie entzündugshemmend, immunmodulierend und sind Bestandteil der Darm-Hirn-Mikrobiota- Achse. Fortsetzung folgt.

Quellen:

Martin-Gallausiaux, Camille et al. “SCFA: mechanisms and functional importance in the gut.” The Proceedings of the Nutrition Society vol. 80,1 (2021): 37-49. doi:10.1017/S0029665120006916

Morrison, Douglas J, and Tom Preston. “Formation of short chain fatty acids by the gut microbiota and their impact on human metabolism.” Gut microbes vol. 7,3 (2016): 189-200. doi:10.1080/19490976.2015.1134082

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