Glutenfreie Ernährung liegt voll im Trend. In den USA verzichtet jeder Dritte freiwillig auf das Speicherprotein aus Getreide. Gluten gerät immer wieder in Verdacht, generell nicht gut für die Gesundheit zu sein. Und natürlich gibt es auch Studien, zum Effekt von glutenfreier Ernährung auf das Darm-Mikrobiom. Ist es gefährlich für die Gesundheit, Gluten zu meiden?
Was ist Gluten überhaupt?
Gluten ist ein Sammelbegriff für die Speicherproteine verschiedener Getreidearten. Das lateinische „glutinum“ steckt drin, und das englische „glue“. Wir kennen es auch als Weizenkleber. Es verleiht dem Weizen seine hervorragenden Backeigenschaften, denn es bildet, wenn man es mit Wasser versetzt ein elastisches, visköses Netzwerk, das dem Backwerk seine Stabilität verleiht.
Weizen enthält etwa 10 bis 12 Prozent Protein, von dem 70 bis 80 Prozent auf Gluten entfallen. Außer in Weizen kommen Proteine mit sehr ähnlichen Eigenschaften auch in Roggen und Gerste vor, alle zusammen werden heute als Gluten zusammengefasst, obwohl der Begriff sich ursprünglich nur auf Weizenproteine bezog. Auch in Hafer kommen ähnliche Proteine in geringen Mengen vor, die aber eine andere Struktur besitzen und auch kaum Probleme machen, heißt es. Gluten in Hafer stammt in erster Linie von Verunreinigungen bei der Herstellung.
Warum ist Gluten problematisch?
Gluten ist ein Proteingemisch, dessen Hauptbestandteile Prolamin und Glutelin sind. Prolamine enthalten viel von den Aminosäuren Prolin und Glutamin, daher der Name, ein Kofferwort aus Prolin und Glutamin. Prolamin aus Weizen, Roggen und Gerste sind maßgeblich an der Entstehung von Zöliakie, einer Autoimmunerkrankung des Dünndarms, beteiligt.
Der hohe Prolingehalt macht diese Proteine schwer verdaulich, und anstelle von kleinen Di- oder Tripeptiden gelangen relativ große Bruchstücke in den Dünndarm. Sie werden in das Zellinnere aufgenommen, werden von einem Enzym, das Amin Seitenketten vernetzt wieder zu einem großen Komplex zusammengefügt, und lösen dann eine Immunreaktion bei Personen aus, die dafür eine genetische Veranlagung besitzen.
Diese Veranlagung besteht allerdings bei etwa 40 % der Menschheit, trotzdem erkranken nur drei Prozent an Zöliakie. Es muss also noch weitere Faktoren geben, die zur Entstehung der Krankheit beitragen. Von einem „Leaky Gut“ ist oft die Rede. Das macht Sinn, denn es erleichtert den immunaktiven Fragmenten den Zugang zu den Zellen.
Neben der Zöliakie gibt es noch weitere Weizenunverträglichkeiten. Die Nicht-Zöliakie-Glutensensitivität („Non celiac gluten sensitivity“ , NCGS) neben Gluten noch durch weitere Faktoren ausgelöst, ruft ähnliche Symptome hervor und unterscheidet sich von Zöliakie am ehesten in der Gewebestruktur des Darms, den sie, im Gegensatz zu Zöliakie, nicht angreift. Eine Weizenallergie ist eine „ganz normale“ Allergie, die durch verschiedene Proteine, darunter auch Gluten.
Glutenfreie Ernährung boomt
Weizen hat wegen der Kohlenhydrate zurzeit ohnehin einen schlechten Ruf. Und dass Gluten gewisse Risiken für die Gesundheit birgt, hat sich auch herumgesprochen. Deshalb verzichten viele Gesunde freiwillig auf Gluten. Völlig zu unrecht, meinen Ernährungswissenschaftler der alten Schule. Da heißt es, man könne bedenkenlos und ohne Einschränkung Gluten verspeisen, ohne sich vor irgendwelchen Konsequenzen fürchten zu müssen. Und das, obwohl bekannt ist, dass nur weniger als zehn Prozent der dazu Veranlagten tatsächlich an Zöliakie erkranken. Da muss es noch weitere Faktoren gegen, die zum Ausbrechen der Krankheit beitragen.
Woher wissen die Weisen, dass es nicht die Glutenbelastung ist? Es empfiehlt ja auch niemand Nicht-Diabetikern hemmungslos Zucker und Weißmehl zu konsumieren, weil man weiß, dass die ständige Belastung die Entstehung von Diabetes fördert.
Es gibt aber auch Fachleute, die schreiben, dass Zöliakie durch den Verzehr von Gluten ausgelöst wird, wenn die genetische Veranlagung besteht. Man hat festgestellt, dass die Gefahr, an Zöliakie zu erkranken deutlich steigt, wenn genetisch dazu veranlagte Kinder in den ersten fünf Lebensjahren viel Gluten zu sich nehmen.
Neben Gluten fördern noch weitere Risikofaktoren das Ausbrechen der Krankheit. Dazu gehören virale oder Pilzinfektionen in frühen Lebensjahren, ebenso wie übertriebene Hygiene, die das bakterielle Mikrobiom verarmen lässt.
Es sieht ein bisschen so aus, als könne glutenfreie Ernährung vor Weizenunverträglichkeiten schützen. Aber kann glutenfreie Ernährung uns auch schaden?
Ist glutenfreie Ernährung sinnvoll?
Experten sehen durchaus Nachteile darin, sich ohne Zwang auf glutenfrei zu ernähren. Sie führen an, dass glutenfreie Ersatzprodukte oft viel Fett und Zucker enthalten und dafür aber zu wenig Vitamine und Mineralstoffe. Und auch ein drohende Mangel an Ballaststoffen wird oft bemüht, weil das wertvolle „Vollkorn“ fehlt.
Diese Leute ignorieren, dass es neben glutenhaltigem Getreide noch unzählige Naturprodukte gibt, die ebenfalls Ballaststoffe enthalten und vor Vitaminen und Mineralstoffen strotzen. Wie konnten man in Asien Jahrtausende mit dem Verzehr von Reis überleben? Und auch wenn auf der Plastiktüte mit den gefärbten Schaumstoffschnitten „vollkorn“ steht, stimmt das noch lange nicht. Die Farbe stammt von Zuckerkulör und die paar Sonnenblumenkörnchen, die sich in der Krume verirrt haben, sind noch nicht mal Getreide. Die meisten Getreideprodukte, die wir verzehren sind alles andere als „vollkorn“. Ich hab da den Verdacht, man will die Leute nicht von einer sehr günstigen Nahrungsquelle abbringen. Oder nicht zugeben, dass Weizen und Co. ein Irrtum sein könnten.
Und was halten die Darmbakterien von glutenfreier Ernährung?
Die Darmbakterien, oder das Darm-Mikrobiom, sind ja zurzeit der Dreh- und Angelpunkt unseres Wohlergehens und es scheint, als hätten sie überall ihre Finger in Spiel und als würde jeder Gesundheitszustand eine typische Signatur im Mikrobiom hinterlassen. Selbstverständlich kann man auch Weizenunverträglichkeiten an der Zusammensetzung der Darmbakterien erkennen und jede hat tatsächlich ihre eigenen Besonderheiten.
Aber was passiert mit dem Mikrobiom wenn m,an sich einfach so glutenfrei ernährt? Hier handelt es sich eher um eine glutenarme Ernährung, wenn man nicht darauf angewiesen ist. selbst kleinste Spuren von Gluten zu vermeiden. (Es ist erstaunlich, wie viele herkömmliche Lebensmittel mit Gluten verunreinigt oder bewusst versetzt sind.)
In Frankreich
Eine französische Arbeitsgruppe untersuchte die Auswirkungen einer glutenarmen Ernährung auf das Darm-Mikrobiom. Sie ersetzten dabei glutenhaltiges Getreide durch glutenfreies. Dann haben sie noch Flohsamenschalen dazugegeben. Damit haben sie natürlich viel mehr verändert, als den Glutengehalt. Sie fanden heraus, dass mit der glutenarmen Ernährung nützliche Darmbakterien, wie Bifidobakterien, in ihrer Zahl abnehmen. Aber sie kommen von alleine drauf, dass sie mit dem Gluten auch jede Menge Ballaststoffe aus der Nahrung entfernt haben oder zumindest durch andere ersetzt. Und was genau man isst, hat einen großen Einfluss auf das Mikrobiom. Ob man Hühnchen oder Schweineschnitzel bevorzugt und das in Butter oder Olivenöl brät, kann man am Darm-Mikrobiom ablesen. So wahrscheinlich auch, ob die Ballaststoffe aus echtem Weizenvollkorn stammen oder von anderen Quellen. Ballaststoffe sind komplexe Moleküle, und auch wenn sie denselben Namen tragen, können sich dahinter doch sehr unterschiedliche Moleküle verbergen. Eubacterium ist zum Beispiel das einzige, das Inulin aius Dahlien abbauen kann. Nur so nebenbei, kein großer Verlust, Dahlien stehen ja nicht so oft auf unserem Speiseplan. Jedenfalls ist es kein Wunder, wenn solche Maßnahmen sich im Mikrobiom widerspiegeln.
Im Detail fanden sie, dass die Gattungen Akkermansia und Lachnobacterium abnahmen, Faecalibacterium, Roseburia und Veillonella dagegen zunahmen.
Schade, wenn Akkermansia und Lachnobacterium abnehmen, aber die übrigen sind sehr hoch geschätzte Darmbakterien.
Bei den Firmicutes und Bacteroidetes, die etwa 90 % der Darmbakterien ausmachen, finden sie keine Unterschiede, aber bei Actinobacteria, zu denen Bifidobkterien gehören und Verrucomicrobia, wie die eben erwähnte Akkermansia.
Sie finden auch, dass Enterobakterien, die zu den Proteobakterien gehören, im Verlauf ihrer Studie vermehren. Und das zehnfach. Das ist ganz schön viel.
Insgesamt weiß man aber nicht, worauf die vielen Veränderungen des Mikrobioms beruhen, weil in dieser Studie eben an mehreren Schrauben gedreht wurde.
In Dänemark
Eine dänische Forschergruppe hat im Prinzip dieselben Experimente durchgeführt, aber den Weizen im Gegensatz zu den Franzosen, die Reis und Mais servierten, durch Hafer ersetzt. Mal sehen, was die die Darmbakterien diesmal von Gluten halten…
Die Dänen fanden, dass die glutenfreie Ernährung die Häufigkeit von 14 Bakterienarten veränderte. Sie finden bei Bifidobacterium einen Rückgang, ebenso wie bei manchen Butyratbildnern – genau wie die Franzosen.
In Dänemark untersuchte man auch das Metabolom der Probanden. Es zeigten sich Unterschiede zwischen glutenreicher und glutenarmer Ernährung. Die bakteriellen Fermentationswege und Transportkapazitäten änderten sich. Am Gluten lag das aber wahrscheinlich auch in Dänemark nicht.
Okay, glutenfreie Ernährung verändert das Mikrobiom, wenn auch nicht durch einen Mangel an Gluten. Falls diese Effekte schädlich sein sollten, lassen sie sich sicher durch eine abwechslungsreich Ernährung kompensieren. Es kann ja nicht sein, dass wir sterben müssen, weil wir keinen Weizen essen wollen, um eventuell einer Unverträglichkeit vorzubeugen. Schließlich sind wir Allesfresser und unser Mikrobiom ist redundant. Egal wer es tut, Hauptsache der Job wird erledigt, heißt es da gelegentlich. Koalas stehen da vor ganz anderen Problemen. Die verhungern lieber, als den „falschen“ Eukalyptus zu essen. Ihr Mikrobiom ist hochspezialisiert (und besteht aus lauter Fachidioten 😉 )
In der Türkei
In der Türkei machte man endlich sinnvolle Experimente zum Einfluss von Gluten auf das Darm-Mikrobiom. Man fütterte Mäuse mit Mäusefutter mit zwei verschiedenen Fettgehaltsstufen und verabreichte ihnen dazu entweder Gluten – oder eben nicht.
Es stellte sich heraus, dass sowohl Fett als auch Gluten das Körpergewicht der Mäuse nach oben trieben. Die einzigen, die nicht zunahmen, waren die fettarm und glutenfrei gefütterten Tiere.
Im Darm fand man eine deutliche Zunahme von L. bulgaricus in den beiden Glutengruppen. Und bei allen, die auch an Gewicht zunahmen zunahmen, also bei fett- oder glutenhaltiger Ernährung, war das Wachstum von E. coli gehemmt. Sowohl Fett als auch Gluten steigern das Körpergewicht, fanden die Forschenden. Die Effekte der beiden Parameter addieren oder potenzieren sich aber nicht. Also, die Kombination von Fett und Gluten macht nicht dicker als Fett oder Gluten allein.
Dass Gluten dick macht, ist neu. Bisher ist die offizielle Meinung, dass es nicht das Gluten selbst ist, sondern durch den Verzehr von kalorienreichen, stark verarbeiteten Lebensmitteln mit Gluten.
Gluten macht dick
Zu guter Letzt fand auch die dänische Gruppe noch, dass ihre Probanden in acht Wochen bei glutenfreier Ernährung rund ein Kilo Gewicht verloren. Sie fanden in dieser Gruppe auch mehr vom Sättigungshormon PYY, aber die Energieaufnahme veränderte sich nicht.
Und sie fanden noch etwas anderes: Die Konzentration von β-Aminoisobutyrat (BAIBA) stieg bei der glutenarmen Ernährung. BAIBA ist eine Aminosäure, die aber nicht in Proteinen vorkommt. Sie fördert die Umwandlung von weißem Speicherfett in braunes Fettgewebe, das zur Erzeuguing von Wärme dient. Die gespeicherte Energie wird hier einfach abgebaut und als Wärme frei.
Und sie fanden noch etwas. Auch Kynurenin, ein Abbauprodukt der Aminosäure Tryptophan, fand sich vermehrt im Stuhl der Glutenverweigerer. Zumindest bei Nagetieren fördert Kynurenin die Aktivität des braunen Fettgewebes.
Was sagt uns das alles?
Wer auf glutenfreie Ernährung setzt, verändert sein Darm-Mikrobiom. Ob diese Veränderung tatsächlich auf einem „Mangel“ an Gluten beruhen oder auf einer veränderten Zufuhr von Ballaststoffen oder anderen mikrobiomaktiven Substanzen, ist nicht klar. Aber im Prinzip ist es auch egal, denn glutenfreie Ernährung bringt diese Änderungen eben mit sich.Über die tatsächlichen Veränderungen erfährt man nicht viel, außer, dass sie „signifikant“ sind und das kann auch sehr wenig sein, eben gerade ein bisschen mehr als natürliche Schwankungen. Mein persönlicher Tipp: Niemand sollte sich verpflichtet fühlen, zum Schutz der Darmbakterien Gluten zu essen.
Quellen:
Delmas, Eve et al. “A Low-Gluten Diet Reduces the Abundance of Potentially Beneficial Bacteria in Healthy Adult Gut Microbiota.” Nutrients vol. 17,15 2389. 22 Jul. 2025, doi:10.3390/nu17152389
Hansen, Lea B S et al. “A low-gluten diet induces changes in the intestinal microbiome of healthy Danish adults.” Nature communications vol. 9,1 4630. 13 Nov. 2018, doi:10.1038/s41467-018-07019-x
Dülger, Merve Sayın et al. “Effects of dietary gluten on body weight and gut microbiota in BALB-C mice using 16 S rRNA-Based analysis.” Scientific reports vol. 15,1 7959. 7 Mar. 2025, doi:10.1038/s41598-025-92213-3