Oktober 27, 2025

Wozu ist der Vagusnerv gut?

Der Vagusnerv verläuft vagabundierend durch unseren Körper

Weil er sich überall im Körper rumtreibt, ist uns der Vagusnerv hier auch schon begegnet. Schließlich ist er Bestandteil der Datenautobahn, die als Darm-Mikrobiota-Hirn-Achse den Bauch mit dem Kopf verbindet. Aber weil er ein wirklich beeindruckender Nerv ist, bekommt er hier mal ein bisschen Aufmerksamkeit.

Was ist der Vagusnerv?

Der Vagusnerv ist der zehnte der zwölf Hirnnerven und beinahe der einzige, der den Kopf verlässt und im Körper vagabundiert. Daher hat er auch seinen Namen. Er hat seinen Ursprung – oder sein Ende, je nachdem, in welche Richtung man guckt, in der Medulla oblongata, dem verlängerten Mark im Hirnstamm. Das ist ein entwicklungsgeschichtlich sehr alter Bereich des Gehirns. Hier werden autonome Funktionen, wie Blutkreislauf, Atmung, Verdauung oder Reflexe geregelt. Der Vagusnerv spielt eine Schlüsselrolle im parasympathischen Nervensystem, dem beruhigenden, bremsenden Teil des autonomen Nervensystems. In der Medulla gibt es verschiedene Kerne (Nuclei), die verschiedene Informationen des VAgusnervs verarbeiten.

Der Vagusnerv verläuft vom Hirnstamm paarig bis in den Unterleib und innerviert auf seinem Weg verschiedene Organe, Ohren, Augen, Herz, Leber, Lunge, Bauchspeicheldrüse, Milz und Teile des Verdauungstraktes, wie den Magen oder Darm.

Der Vagusnerv besteht aus afferenten, sensorischen Bahnen, die Informationen zum Gehirn leiten und efferenten, motorischen Bahnen, die vom Gehirn zu den Organen verlaufen. Die afferenten Bahnen machen dabei etwa 80% aus, die efferenten 20%. Die Informationen fließen also in erster Linie von der Peripherie ins Zentrum, wo sie verarbeitet werden und dann als knackige Anweisungen zurückkehren. Die sensorischen Informationen aus den peripheren Organen beeinflussen die Feinregulation von Herzschlag, Atmung oder Verdauung.

Meist verläuft der Vagusnerv tief im Körperinneren, aber an zwei Stellen kommt er nah an die Oberfläche heran: Am Hals und am Tragus. (Das ist der kleine Knorpel am Eingang zum Gehörgang.) Der wichtigste Neurotransmitter des Vagusnervs ist Acetylcholin. Ein Neurotransmitter ist ein Stoff, der den elektrischen Nervenimpuls von einer Nervenzelle auf die nächste überträgt.

Der Entzündungsreflex

Entzündungen spielen eine große Rolle bei der Entstehung vieler „Zivilisationskrankheiten“. Man vermutet, sie könnten auslösend für Fettleibigkeit oder Diabetes Typ 2 sein. Und sie gehören heute fast schon zum Alltag. Über den Entzündungsreflex übt der Vagusnerv Kontrolle über Entzündungen und Immunreaktionen aus.

Der efferente Arm

Efferente Fasern des Vagusnervs innervieren die inneren Organe. Sendet der Nerv Signale, wird an der endständigen Synapse Acetylcholin freigesetzt, das an Rezeptoren auf der Oberfläche von Immunzellen bindet. Das führt dazu, dass die Freisetzung entzündungsfördernder Zytokine abnimmt. Dieser „efferente Arm“ des Entzündungsreflexes lässt sich durch Acetylcholinesterasehemmer aktivieren. Diese Moleküle hemmen das Enzym, das Acetylcholin spaltet und dadurch inaktiviert. Dadurch steht der Beurotransmitter länger zur Verfügung, was seine enz´tzündungshemmende Wirkung verstärkt.

Für die antientzündliche Wirkung benötigen die Zellen einen besonderen Rezeptor, den nikotinischen Acetylcholinrezeptor, auf ihrer Oberfläche. Den gibt es auf verschiedenen Zelltypen, unter anderem Makrophagen (Fresszellen), dendritischen Zellen im Darmgewebe oder Endothelzellen, die die Gefäße auskleiden.

Der afferente Arm

Wenn afferente Fasern im peripheren Gewebe Entzündungsmarker aufspüren, leiten sie diese Information an das Gehirn weiter. Außer der Medulla werden noch weitere Hirnregionen, zum Beispiel der Hypothalamus, der für die Stressreaktionen verantwortlich ist, informiert.

Bakterielle Endotoxine, zum Beispiel das LPS der Proteobakterien, ist in der Lage, den afferenten Arm des Entzündungsreflexes zu aktivieren.

Viele Erkrankungen beginnen mit chronischen Entzündungen

Störungen des Immunsystems führen dazu, dass ständig entzündungsfördernde Zytokine freigesetzt werden. Das fördert die Entstehung chronischer Entzündungen und diese wiederum sind der Anfang von vielen verschiedenen Erkrankungen, wie rheumatoide Arthritis, entzündliche Darmerkrankungen (Colitis ulcerosa und Morbus Crohn), Autoimmunerkrankungen oder Sepsis. Auch Stoffwechselstörungen gehören dazu, und Fettleibigkeit.

Kann sein, dass eine Störung des Vagusnervs zur Entstehung von Übergewicht und Stoffwechselstörungen beiträgt.

Der Vagusnerv regelt die Energieaufnahme

Der Vagusnerv spielt eine wichtige Rolle bei der Regulation der Nahrungsaufnahme. Er empfängt die Signale, die uns mitteilen, dass wir satt sind.

Afferente Bahnen leiten Informationen von Mechanorezeptoren, die den Füllstand des Magens messen, ans Gehirn. Chemorezeptoren wissen, was wir da verspeist haben. Der Gehalt von Fett, Glucose und verschiedenen Verdauungshormonen wird bestimmt und der Befund ans Gehirn weitergeleitet.

Signale für den Vagusnerv sind:

  • Cholecystokinin

Cholecystokinin vermittelt ein Sättigungsgefühl und die Mahlzeit wird beendet.

Cholecystokinin ist ein Peptidhormon des Magen-Darm-Trakts. Es spielt auch im Gehirn spielt es eine wichtige Rolle als Neurotransmitter. Es ist zentralnervös an der Auslösung des Sättigungsgefühls beteiligt.

  • Leptin

Synergistisch mit Cholecystokinin aktiviert es afferente Bahnen des Vagusnervs und vermittelt damit das Ende der Nahrungsaufnahme.

  • Glucose

Glucose im Darmlumen aktiviert den Vagusnerv, der daraufhin die Bauchspeicheldrüse anstupst.

  • Fett

Wenn sich im oberen Fett ansammelt, und daraufhin Cholecystokinin freigesetzt wird, aktiviert das die Signalübertragung ins Gehirn. Das reagiert darauf, indem es der Leber mitteilt, dass sie vorläufig keine Glucose herstellen muss.

Bei Fettleibigkeit ist die Kommunikation des Vagusnerv gestört

Mehrere Studien zeigen, dass bei Fettleibigkeit möglicherweise die Signalübertragung durch den Vagusnerv gestört ist. Das ist der Grund für die Leptinresistenz, unter der Fettleibige oft leiden. Auch die Kommunikation zwischen Vagusnerv und Leber ist reduziert. Ein erster Schritt Richtung Diabetes, denn die Leber produziert Glucose, um im Notfall den Blutzuckerspiegel erhalten zu können. Das hebt deb Blutzuckerspiegel. Es entsteht kein Sättigungsgefühl und die Leber setzt Glucose frei, obwohl sie das nicht müsste. Die Folge sind Gewichtszunahme und Insulinresistenz.

Bei Fettleibigkeit und Typ 2 Diabetes ist die Aktivität des Vagusnervs oft reduziert und die autonomen Funktionen geraten aus dem Takt. Das kann zu Entzündungen führen und weitere Stoffwechselstörungen nach sich ziehen.

Fettzellen tragen den Acetylcholinrezeptor auf ihrer Oberfläche. Wenn ein Ligand bindet, nimmt die Produktion des Tumornekrosefaktor (TNF)ab. Das ist ein Zytokin, das an lokalen und systemischen Entzündungen beteiligt ist. Mäuse, denen dieser Rezeptor fehlt können das Signal nicht verwerten und bei fettreicher Ernährung haben sie mehr Fresszellen im Fettgewebe und produzieren mehr TNF, leiden also stärker unter Entzündungen.

Verabreicht man Mäusen bei fettreicher Ernährung Nikotin, verbessert sich die Glucosehomöostase und Insulinwirkung. Hier wird der Acetylcholinrezeptor durch Niktotin aktiviert. (Es gibt verschiedene Acetylcholinrezeptoren, nikotinische und muscarinische. Sie unterschieden sich darin, durch welche fremden Liganden, Nikotin oder Muscarin, aktivieren lassen.)

Aktiviert man den Acetylcholinrezeptor mit fremden Agonisten, also nicht Acetylcholin, reduziert das Gewichtszunahme, Portionsgröße, Blutzuckerspiegel, Langzeitzucker und Triglyceride. Eine Möglicjkeit, gesundheitsfördernde VAgussignale in den Kopf zu leiten. Nikotin ist uns ja aus Tabak bekannt. Es sieht so aus, als wäre Rauchen gesund und würde tatsächlich schlank machen 😉 . Es fällt auf, dass bei fettleibigen Personen deutlich weniger Acetylcholinrezeptoren vorhanden sind. Dann haben es auch die Sättigungssignale schwer. Eine Gewichtsabnahme hebt die Anzahl der Rezeptoren aber wieder an.

Wie kann man die Funktion des Vagusnervs auf Trab bringen?

Wenn der Vagusnerv nicht genug Neurotransmitter ausschüttet, können künstliche Liganden, zum Beispiel Nikotin sie ersetzen. Eigentlich ist der Nerv daran gar nicht mehr beteiligt. Eine weitere Strategie, die Signale des Vagusnervs zu stärken, ist die Einnahme von Acetylcholinesterase-Hemmern. Diese Verbindungen hemmen den Abbau des Neurotransmitters und verlängern und verstärken dadurch seine Wirkung. Das funktioniert natürlich nur, wenn auch genug Rezeptoren vorhanden sind. Ausdauersport ist eine weitere Möglichkeit, den Vagusnerv zu aktivieren. Der Vagusnerv lässt sich auch elektrisch stimulieren.

Vagusnervstimulation

Schaltet man Neuronen des Vagusnervs aus, kommt es zu unkontrollierten Entzündungsreaktionen. Stimuliert man den Nerv dagegen, ist die Freisetzung entzündungsfördernder Zytokine gehemmt. Der Vagusnerv scheint eine effiziente Bremse für Entzündungen aller Art zu sein.

Traditionelle Vagusnervstimulation (VNS)

Die traditionelle Vagusnervstimulation wird daher schon seit dem 19ten Jahrhundert in der Behandlung von Epilepsie angewandt. Seit Ende des 20ten Jahrhunderts behandelt man damit auch Depressionen. Mittlerweile weiß man, dass die Aktivierung des Entzündungskomplexes gegen eine ganze Reihe Krankheiten helfen kann.

Bei der VNS wird ein Gerät unter der Haut implantiert, das den Nerv elektrisch stimuliert. Diese Methode ist allerdings nicht nebenwirkungsfrei und der Erfolg unterliegt starken individuellen Schwankungen.

Transkutane aurikuläre Vagusnervstimulation (taVNS)

Die taVNS kommt ohne Implantat aus. Bei dieser Methode wird der Vagusnerv im Bereich des Ohres, wo er dicht unter der Hautoberfläche verläuft, mit Elektroden auf der Haut stimuliert. Bei Ratten, die über bakterielles LPS in Depressionen verfallen waren, konnte die taVNS Linderung verschaffen. Es gibt weniger Nebenwirkungen und die Anwendung ist weniger kompliziert. Für optimale Ergebnisse muss das Gerät aber exakt angepasst werden und acuhh hier ist der Erfolg individuell sehr unterschiedlich.

Fazit:

Wenn der Vagusnerv nicht genügend efferente Signale in die peripheren Gewebe sendet, kann das zu Störungen des Immunsystems, Stoffwechselstörungen und Entzündungen führen. Durch gezielte Aktivierung des Nervs und Aktivierung des Entzündungsreflexes lindert sowohl Entzündungen als auch Stoffwechselstörungen. Möglicherweise ist der Vagusnerv ein guter Angriffspunkt, gegen moderne Zivilisationskrankheiten vorzugehen.

Quellen:

Pavlov, V. A., & Tracey, K. J. (2012). The vagus nerve and the inflammatory reflex–linking immunity and metabolism. Nature reviews. Endocrinology, 8(12), 743–754. https://doi.org/10.1038/nrendo.2012.189

Ma, Li et al. “The vagus nerve: An old but new player in brain-body communication.” Brain, behavior, and immunity vol. 124 (2025): 28-39. doi:10.1016/j.bbi.2024.11.023

Bild von MaBraS auf Pixabay

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