Polyphenole sind die neuen Vitamine, heißt es gelegentlich. Sie sind zwar nicht lebensnotwendig, aber sie haben unzählige positive Auswirkungen auf die Gesundheit. Sie sollen das Risiko für Herzinfarkt, Schlaganfall, Diabetes senken und die Blutfettwerte und den Blutdruck, Insulinresistenz und systemische Entzündungen reduzieren. Die Forschung brummt.
Allerdings wird viel an Zellkulturen geforscht, wo die Polyphenole wenige Hindernisse überwinden müssen. Die Bioverfügbarkeit der Polyphenole tatsächlich ein großes Handicap, wenn es um die Wirkung in vivo, also im echten Leben, geht. Polyphenole liegen oft als inaktive, an andere Moleküle gebundene, Formen vor. Nur etwa fünf Prozent werden bereits im Dünndarm absorbiert. Der Rest gelangt in den Dickdarm und wird dort von den Darmbakterien bearbeitet.
Wie wirken Polyphenole auf Darmbakterien?
Die Wirkung der Polyphenole auf Darmbakterien ist verblüffend zweigeteilt. Vor allem für sogenannte Gram-negative Bakterien mit einer doppelten Zellhülle, können sie wachstumshemmend wirken. Zu dieser Gruppe gehören viele eher schädliche Darmbakterien.
Verschiedene Studien zeigen aber, dass vor allen Lactobacillen, also Milchsäurebakterien, sowie Bifidobakterien, ebenfalls hochgeschätzte Milchsäureproduzenten, sich unter dem Einfluss von Polyphenolen vermehren, während Clostridien, die eine eher problematische Fraktion in der Gemeinschaft der Darmbakterien darstellen, im Wachstum gehemmt werden.
Darmbakterien sind sehr einfallsreich, wenn es darum geht, das Beste aus dem Vorhandenen herauszuholen. Manche spalten einfach die hemmenden Moleküle vom Polyphenol ab. Natürlich nicht für uns. Aber was sie abspalten ist oft Zucker, also lecker und nahrhaft. Das Polyphenol selbst lassen sie liegen. Es kann dadurch leichter in unsere Körperzellen aufgenommen werden.
Oder es kommen andere Bakterien und bauen das Polyphenol um, wie es ihnen beliebt. Man hat gezeigt, dass aus (-)-Epicatechin innerhalb kurzer Zeit verschiedene andere phenolische Verbindungen durch die Aktivität der Darmbakterien entstehen. Epicatechin kommt übrigens reichlich in Kakao (dort hat man es entdeckt), dunklen Trauben und Apfelschalen vor.
Schon gewusst?
Zur Frage, ob man Äpfel nun schälen soll oder nicht, meinen manche Experten, man solle sie durchaus schälen – und dann das Fruchtfleisch entsorgen und nur die Schalen essen. Diese Empfehlung sprechen sie wegen des hohen Fruchtzuckergehalts der Äpfel aus. Fruchtzucker ist zurzeit sehr unbeliebt, weil gar nicht gesund. Aber das nur nebenbei.
Zurück zum Thema. Ob und wie sich diese veränderten polyphenolischen Verbindungen auf unseren Stoffwechsel auswirken, muss erst noch erforscht werden. Aber es ist gut möglich, dass die Darmbakterien einen ordentlichen Teil zu den gesundheitsfördernden Wirkungen der Polyphenole beitragen.
Was sind Polyphenole überhaupt?
Polyphenole sind sogenannte sekundäre Pflanzenstoffe. Die Pflanzen benötigen sie, wie wir Tiere, nicht zum Überleben, aber sie sind sehr nützlich im Alltag. Sie bieten zum Beispiel Schutz vor Fraßfeinden oder locken Insekten an. Eine wichtige Funktion, für Pflanzen und Tiere, ist der Schutz vor ROS, reaktiven Sauerstoffradikalen, die in allen Zellen oxidativen Stress verursachen und große Schäden anrichten können. Sie entstehen in den Mitochondrien, wenn bei der Zellatmung etwas schiefgeht.
Es gibt viele verschiedene Polyphenole, die in verschiedene Gruppen unterteilt werden: Flavonoide, Stilbene und Phenolsäuren. Allen gemein ist ein Strukturelement, das sich aus einem aromatischen (mit abwechselnd Einfach- und Doppelbindungen) Kohlenstoffring mit einer oder mehreren daran gebundenen OH-Gruppen zusammensetzt. In der Pflanze sind sie dann meist noch an einen für uns hinderlichen, aber für Bakterien interessanten Zuckerrest gebunden.
Wo kommen Polyphenole vor?
In allen Pflanzen, Obst, Gemüse oder Kräutern, vor allem in den äußeren Bereichen, wo Umwelteinflüsse am stärksten wirken. Der Gehalt an Polyphenolen ist in Bioprodukten in der Regel höher, weil sie sich stärker gegen negative Umwelteinflüsse zur Wehr setzen müssen. Frisch sollte die Pflanzenkost außerdem sein, denn der Polyphenolgehalt sinkt mit der Lagerdauer.
Fazit
Die Geschichte der Polyphenole ist noch lange nicht vollständig erzählt. Sicher ist aber, dass sie uns, abgesehen von einigen „schwarzen Schafen“, meist guttun – obwohl wir doch eigentlich auch zu den Fressfeinden der Pflanzen gehören. Eine große Portion Gemüse, Obst oder Kräuter auf dem Teller ist wohl auf jeden Fall nicht schlecht.
Quelle:
Dahl, Sasha M et al. “Gut microbial modulation by culinary herbs and spices.” Food chemistry vol. 409 (2023): 135286. doi:10.1016/j.foodchem.2022.135286
Ein Gedanke zu “Polyphenole: Wir füttern die Darmbakterien, sie füttern uns”