Oktober 13, 2024

Desulfovibrio – bitte nicht füttern

Desulfovibrio lebt von Schwefelverbindungen

Für Desulfovibrio scheint sich im deutschsprachigen Raum kaum jemand zu interessieren. Dabei können diese Bakterien, wenn man sie füttert und sie sich vermehren, ganz schön Ärger machen.

Wer ist Desulfovibrio?

Desulfovibrio ist ein anaerobes Schwefelbakterium. Die Angehörigen dieser Gruppe, die zu den wenig beliebten Proteobakterien gehören, sind Sulfatatmer oder Sulfat reduzierende Bakterien. Im sauerstofffreien Milieu des Darmes können sie ihren Energiebedarf durch Atmung decken, was ihnen unter bestimmten Bedingungen wahrscheinlich einen Vorteil gegenüber den fermentierenden Bakterien, wie Firmicutes oder Bacteroidetes, verschafft.

Desulfovibrio nutzt molekularen Wasserstoff (H2) oder Fermentationsprodukte der kommensalen Darmbakterien, zum Beispiel Milchsäure, und verbrennt es in seiner speziellen Atmung. Da werden, wie bei der aeroben Atmung in Anwesenheit von Sauerstoff, Elektronen frei, die es loszuwerden gilt. Und diese Bakterien übertragen sie auf Schwefelverbindungen, Sulfat oder Sulfit, und produzieren dabei Schwefelwasserstoff (H2S).

Warum ist Desulfovibrio gefährlich?

Oft handelt es sich nur um Korrelationen und es ist nicht sicher, ob tatsächlich ein ursächlicher Zusammenhang besteht. Aber bei verschiedenen Krankheiten beobachtete man in der Regel eine Blüte dieser Bakterien. Damit reichern sich auch verschiedene Metabolite oder andere Produkte der Bakterien an.

Giftiger Schwefelwasserstoff

Da ist zunächst der Schwefelwasserstoff. Er trägt bei weitem am meisten zur Pathogenität von Desulfovibrio bei. In geringen Mengen ist Schwefelwasserstoff als Botenstoff für uns sogar nützlich.Wir könne ihn sogar selbst produzieren. Aber wenn seine Konzentration zu stark steigt, entfaltet sich seine schädliche Wirkung. Er stört den Butyratstoffwechsel, auf den die Zellen des Dickdarms angewiesen sind und schwächt auch die Darmbarriere indem er die Tight Junctions, die dichten Verbindungen zwischen den einzelnen Zellen, lockert.

Endotoxin LPS

Eine andere problematische Sache ist das LPS oder Lipopolysaccharid. Das ist ein Bestandteil der Zellwand von Gram-negativen Bakterien, zu denen Desulfovibrio gehört. Wenn Bruchstücke davon in den Blutkreislauf gelangen, zum Beispiel durch eine löchrige Darmbarriere, wirkt es als Endotoxin entzündungsfördernd und befeuert dadurch eine ganze Menge schädlicher Effekte.

Zerstörerische OMVs

Dann produziert Desulfovibrio auch noch OMVs -Outer Membrane Vesicles. Das sind kleine Bläschen, die von der äußeren Membran Gram negativer Bakterien abgeschnürt werden und allerlei biologisch aktive Moleküle enthalten können. OMVs loszuschicken ist ganz typisch für Gram negative Bakterien. (Gram positive können das nicht, weil sie keine äußere Membran haben. ) Bacteroides macht das auch, seine OMVs sind quasi Carepakete, die andren Darmbakterien Nahrungsquellen erschließen. Aber die OMVs von Desulfovibrio wirken entzündungsfördernd, aktivieren das Immunsystem und schwächen die Darmbarriere.

Abbau der Mucosa

Desulfovibrio benötigt schwefelhaltige Verbindungen für seinen Energiestoffwechsel und die findet er in der Mucosa der Darmschleimhaut. Deswegen knabbert er die gerne an. Und im Gegensatz zu Akkermansia, deren Knabbereien die Schleimschicht eher stärken, schadet das der Mucosa und schwächt ihre Funktion.

Desulfovibrio blüht bei verschiedenen Krankheiten auf

Wenn jemand so fiese Tricks auf Lager hat, wundert es nicht, wenn er häufig im Umfeld von Krankheiten gesichtet wird. Allerdings ist wohl noch nicht immer klar, ob da tatsächlich ein ursächlicher Zusammenhang besteht.

An Bakteriämien, der Anwesenheit von Bakterien im Blutkreislauf, ist häufig Desulfovibrio beteiligt. Was er da genau macht weiß man aber nicht. Aber eine Bakteriämie kann eine Menge anderer gesundheitlicher Probleme nach sich ziehen.

Und wie schon erwähnt sind viele Krankheiten von einer Desulfovibrio – Blüte im Darm begleitet. Manchmal ist der Darm betroffen, aber erstaunlich oft das Nervensystem.

  • IBD

Chronisch entzündliche Darmerkrankungen, (IBD, Inflammatory Bowel Disease) äußern sich als Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa. Bei betroffenen Patienten findet man vermehrt Desulfovibrio im Darm, vor allem auch in enger Verbindung mit der Mucosa.

Erstaunlicherweise helfen Probiotika gegen die Erkrankung, wahrscheinlich, indem sie mit Desulfovibrio in Konkurrenz treten. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Bakterienblüte und der Krankheit ist allerdings noch nicht aufgestellt.

  • Parkinson

Auch bei Parkinson, einer neurodegenerativen Krankheit, bei der die dopaminergen Neuronen verloren gehen, findet man vermehrt Desulfovibrio im Darm. Parkinson Symptome lassen sich mithilfe von Desulfovibrio Bakterien auf den Fadenwurm C. elegans übertragen. Und in diesen Experimenten zeigte sich, dass die Isolate aus Parkinson Patienten stärker pathogen waren als „normale“ Desulfovibrio aus anderen, neutralen Quellen.

Im Fall von Parkinson ist man sich (zurzeit wenigstens) ziemlich sicher, dass tatsächliche ein Kausalzusammenhang besteht. Man geht davon aus, dass irgendwelche noch unbekannten Faktoren im Darm Desulfovibrio dahingehend verändern, dass sich ihre Pathogenität erhöht. Bei dem unbekannten Faktor könnte es sich um Schwefelwasserstoff handeln und auch LPS könnt eine Rolle spielen, meinen die Wissenden.

  • Autismus

Autismus umfasst ein Spektrum neurobiologischer Störungen, die sich auf Intelligenz und Sozialverhalten auswirken. Auch hier findet man bei Betroffenen vermehrt Desulfovibrio im Darm und die Schwere der Symptome korreliert sogar positiv mit der Anzahl der Bakterien. Wie diese Befunde zusammenhängen ist noch nicht bekannt. Möglicherweise verursacht Schwefelwasserstoff einen Eisenmangel, den man bei den Betroffenen oft beobachtet. Und auch hier könnte LPS wieder eine Rolle spielen.

Und noch ein möglicher Zusammenhang: Desulfovibrio produziert Propionat, eine kurzkettige Fettsäure (von der man sonst eher Gutes hört). Bei Autisten ist deren Konzentration erhöht. Und durch die Infusion von Propionat lässt sich repetitives Verhalten, das typisch für Autismus ist, erzeugen. Aber diese Daten sind, wie so oft im Reich der Darmbakterien, nicht konsistent.

  • Kognition

Kognition umfasst eine Vielzahl von Prozessen, die sich mit intelligenten Leistungen des Gehirns befassen. Im Mäusen ist Schwefelwasserstoff möglicherweise als Botenstoff an Lernprozessen beteiligt. In physiologischen Konzentrationen ist Schwefelwasserstoff also durchaus wichtig. Desulfovibrio produziert aber unter Umständen so viel davon, dass sich toxische Konzentrationen anhäufen und sich die positiven Effekte ins Negative umkehren.

  • Krebs

Auch Krebspatienten beherbergen oft eine Schwemme von Desulfovibrio im Darm. Der von ihnen produzierte Schwefelwasserstoff kann die DNA schädigen und zum Fortschreiten von Dickdarmkrebs beitragen.

  • Metabolisches Syndrom

Viele Studien belegen eine positive Korrelation zwischen Desulfovibrio – Zahlen und verschiedenen Erscheinungsformen des metabolischen Syndroms.

Wie kann man sich Desulfovibrio vom Leib halten?

Desulfovibrio vermehrt sich bei typischer westlicher Ernährung. Reichlich Fett in der Nahrung, das bis zu seinem Lebensraum vordringt, bietet ihm einen Wachstumsvorteil. Die fermentativen Bakterien können mit dem Fett nichts anfangen, weil man es nicht vergären kann. Aber er kann es für seine Sulfatatmung nutzen.

Westliche Ernährung enthält auch viele mit Konservierungsstoffen behandelte Fertigprodukte. Manche davon sind Sulfite und die kommen Desulfovibrio ebenfalls recht, die nutzt er anstelle von Sauerstoff für seine Atmung. Sulfite haben die E-Nummern E-200 bis E-228. Trockenfrüchte und Rotwein fallen mir als typische Quellen ein.

Zucker sollte sich auch ungünstig auswirken. Den können Proteobakterien auch rasch an sich reißen und die fermentativen Bakterien, die auf ihre Portion Ballaststoffe warten, mal kurz verdrängen.

Dementsprechend hat sich auch gezeigt, dass eine fettreiche, HFCS – reiche (High Fructose Corn Syrup), cholesterinreiche Ernährung zu Übergewicht, schlechten Blutfetten und Insulinresistenz UND einer Vermehrung von Desulfovibrio führt. Jedenfalls bei Schweinen. Eine ballaststoffreiche Ernährung korreliert negativ mit Desulfovibrio.

Quelle:

Singh, Sudha B et al. “Desulfovibrio in the Gut: The Enemy within?.” Microorganisms vol. 11,7 1772. 7 Jul. 2023, doi:10.3390/microorganisms11071772

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