Der Darm stellt die größte Oberfläche unseres Körpers dar. Da wäre es schon sehr verwunderlich, wenn nicht eine rege Kommunikation mit der Chefetage, dem Gehirn stattfinden würde. Die ist gemeinhin als Darm-Hirn-Achse bekannt. Dass die Darmbakterien dabei ihre Finger im Spiel haben und ein gehöriges Wörtchen mitreden, wird dagegen erst in jüngerer Zeit deutlich. Deswegen spricht man jetzt auch von der Darm-Mikrobiota-Hirn- Achse. Der Einflussbereich der Darmbewohner reicht also tatsächlich bis ins Gehirn. Aber wie kann das funktionieren?
Wie hängen Darm und Hirn zusammen?
Die Darm-Hirn-Achse verfügt über eine ausgezeichnete Infrastruktur und die Beteiligten kommunizieren auf verschiedenen Wegen, durch das Immunsystem, Hormone und andere Metabolite und natürlich das Nervensystem. Bei den Hormonen und anderen Stoffwechselprodukten stammen viele wohl auch aus der Produktion der Darmbakterien.
Neuronale Kontakte der Darm-Hirn-Achse
Das autonome Nervensystem ist ein wesentlicher Bestandteil der Darm-Hirn-Achse. Es hält die Darmfunktionen unter Kontrolle, die Motilität, Integrität der Darmbarriere, den Salzgehalt und damit den Wasserhaushalt des Darminhalts, die Sekretion der Schleimstoffe an der Mucosa sowie Immunantworten. Die Informationen aus dem Darm werden vom Gehirn verarbeitet und entsprechende Antworten an die Organe entsandt.
Der Vagusnerv verbindet Darm und Gehirn. Er ist ein wichtiger Bestandteil des vegetativen Nervensystems. Genauer gehört er den parasympathischen Nervensystem. Er ist einer der zwölf Hirnnerven und der einzige der den Kopf verlässt, im Körper umhervagabundiert (daher sein Name ) und Informationen in den Kopf zurückbringt. Der überwiegende Teil seiner Nerven tut das. Nur etwa zehn Prozent der Nervenfasern leiten Information vom Kopf in die Peripherie. Der Vagusnerv innerviert alle inneren Organ und natürlich auch den Bauchraum.
Dort erhält er Unterstützung vom enterischen Nervensystem (ENS). Das gehört auch zum autonomen Nervensystem und bildet ein komplexes Netzwerk im Verdauungstrakt, das aus 200 bis 600 Millionen Neuronen besteht.
Das enterische Nervensystem kommuniziert mit dem zentralen Nervensystem (ZNS). Neuronale Signale aus dem Darm beeinflussen deshalb nicht nur das ENS, sondern gelangen auch ins ZNS.
ZNS und ENS ähneln sich in Struktur und Chemie. Deswegen nennt man das ENS auch das „Bauchhirn“. Und weil sich die Funktionsweise so ähnlich ist, können Störungen der Funktion des einen das andere Hirn ebenfalls stören. In beide Richtungen.
Die Darm-Hirn-Achse erhält Zuwachs
Die Signale, die die beiden Hirne austauschen, können durchaus von den Darmbakterien stammen. Sie verstehen es, bestimmte Rezeptoren zu binden und dadurch Signalwege in Gang zu setzen. Deswegen spricht man mittlerweile von der Mikrobiota-Darm-Hirn-Achse.
Zu den Signalmolekülen gehören Neurotransmitter, die die Reizübertragung zwischen Nervenzellen vermitteln, oder kurzkettige Fettsäuren. Das moduliert die Aktivität des ENS, kann sich aber, wie bereits erwähnt, auch im Gehirn auswirken. Das ENS scheint auch die Zusammensetzung des Darm-MIkrobioms beeinflussen zu können. Ist das ENS in seiner Funktion gestört, ändert sich auch die Mikrobiota und entzündungsfördernde Bakterien gewinnen an Einfluss.
Neurotransmitter aus dem Darm
Neurotransmitter sind Botenstoffe, die die Aktivität von Nervenzellen regeln. Sie können aktivierend, excitatorisch oder hemmend, inhibitorisch wirken.
Glutamat, Acetylcholin, Noradrenalin und Dopamin sind excitatorische Neurotransmitter und leiten die Signale an den Synapsen zwischen zwei Neuronen weiter.
GABA (Gamma-Amino-Buttersäure), Glycin oder Serotonin sind inhibitorische Neurotransmitter. Sie machen es an den Synapsen den nachfolgenden Nervenzellen unmöglich, erregt zu werden, weil sie die dafür „falschen“ Kanäle öffnen und Ionen einströmen lassen.
Die Wirkung von Neurotransmittern ist dementsprechend weitreichend. Sie beeinflussen das Lernverhalten, Gedächtnis, Emotionen und – an neuromuskulären Synapsen, die die Muskeln aktivieren – auch Bewegung.
Manche Darmbakterien produzieren Enzyme oder Vorläufer von Neurotransmittern, die deren Synthese durch den Wirt erleichtern. Dadurch können sie die Gehirnfunktion beeinflussen. Allerdings können nur sehr wenige Neurotransmitter die Blut-Hirn-Schranke überwinden. Alles andere wäre ja fatal.
Aber die können den Hirnstoffwechsel indirekt beeinflussen. Etwa, indem sie den Vagusnerv anregen, ihre Signale ins ZNS zu senden, oder indem sie lokal mit dem ENS kommunizieren.
Welche Bakterien mischen an der Darm-Hirn-Achse mit?
- Escherichia coli produziert Noradrenalin
- Bacillus kann Noradrenalin und Dopamin herstellen.
- Staphylococcus kann aus L-DOPA, einer Vorstufe von Dopamin den aktiven Neurotransmitter fertigstellen.
- Lactobacillus und E. coli produzieren GABA
- Sporenbildner, vor allem Clostridien, fördern die Synthese von Serotonin durch den Wirt.
Serotonin hat viele Aufgaben im Stoffwechsel. Es reguliert nicht nur den Gehirnstoffwechsel, sondern auch die Darmbewegungen und Sekretion im Darm. Fast 90 % des Serotonins werden im Darm gebildet. aber wahrscheinlich eben für die Funktionen, die es im Darm ausübt. Wissen Schaffende glauben zwar, dass dieses Serotonin sich auch im Gehirn wirksam zeigt, können aber (noch) nicht erklären, wie das funktioniert.
- E. coli und Morganella morganii, wie Colis ebenfalls ein Enterobakterium, das zum Stamm der Proteobakterien gehört, können biogene Amine, wie Histamin produzieren.
Histamin ist ein wichtiges regulatorisches Gewebshormon mit Funktionen im Magen-Darm-Trakt und ZNS.
- Bacillus subtilis, Lactobacillus plantarum, E. coli und Staphylococcus aureus (den man allerdings nicht im Darm vorfinden möchte) können den wichtigen Neurotransmitter Acetylcholin produzieren.
- kurzkettige Fettsäuren, wie sie durch bakterielle Fermentation von Ballaststoffen durch Darmbakterien entstehen, und Gallensäuren können die Synthese von Neurotransmittern beeinflussen.
Kommunikation über das Immunsystem
Das Immunsystem hat die schwierige Aufgabe, zwischen Freund und Feund unterscheiden zu müssen. Harmlose Strukturen dürfen nicht angegriffen werden, sonst hat man ein Problem.
Bestimmte Immunrezeptoren, PPRs (Pattern Recognition Receptors), erkennen bestimmte molekulare Muster, die mit Bakterien assoziiert sind. Das können Bestandteile der bakteriellen Zellwand oder Hülle sein. Dadurch kann das Immunsystem Zellen erkennen und angemessen reagieren. Es kann Veränderungen in der Zusammensetzung der Bakterien erkennen und dementsprechend eingreifen.
Die Immunzellen initiieren eine Kaskade chemischer Botenstoffe, die die Kommunikation auch mit dem ZNS erleichtern. Die Darmbakterien sind in diese Kommunikation einbezogen. Bei schweren entzündlichen Prozessen, die das Immunsystem als Antwort auf eine gestörte Darmflora starten kann, werden übermäßig viele Cytokine produziert, die die Blut-Hirn-Schranke überwinden können und direkt in die Hirnfunktion eingreifen können. So kann eine Dysbiose im Darm nicht nur die Funktion der Darmbarriere, sondern auch der Blut-Hirn-Schranke stören und Entzündungen im Gehirn fördern. Chronische Entzündungen des Gehirns werden mit kognitiven Beeinträchtigungen und Verhaltensstörungen assoziiert.
Die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse
Über die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse werden Reaktionen auf Stress auch im Verdauungstrakt wirksam. Bei Stress startet eine Hormonkaskade im Hypothalamus des Gehirns und endet mit der Freisetzung von Glucocorticoiden. Beim Menschen das Stresshormon Cortisol. Wenn diese Hormonkaskade nicht ausreichend oder auch übermäßig aktiviert ist, zeigt sich das in psychophysiologischen Störungen.
Wie so oft im Reich der Mikrobiomforschung zeigen sich Korrelationen mit den Darmbakterien beziehungsweise deren Stoffwechselprodukten. Und durch die Gabe von Probiotika lässt sich das Darm-Mikrobiom beeinflussen und die stressbedingte Zunahme von Glucocorticoiden reduzieren.
Enteroendokrine Zellen senden Signale über die Darm-Hirn-Achse
Dei Gesamtheit der enteroendokrinen Zellen, die verstreut in das Gewebe des Darms eingelagert sind, stellt die größte endokrine Drüse unseres Körpers dar. (Obwohl dieser Rekord von verschiedenen Autoren auch für das Fettgewebe oder die Muskelmasse beansprucht wird. Kommt wohl aber auch darauf an, wie viel man davon hat 😉 ). Es gibt verschiedene Untertypen dieser Zellen und insgesamt produzieren sie mehr als zwanzig verschiedene Peptide, die ihre Botschaften ans Gehirn senden. Darunter Ghrelin, Peptid YY (PYY), GLP-1, GIP, und CCK. Viele davon sind mit der Regulation der Nahrungsaufnahme beschäftigt, insgesamt sind sie mit verschiedenen Aspekten des Crosstalks zwischen Hirn und Darm betraut.
Enteroendokrine Zellen verfügen über viele Sensoren, mit deren Hilfe sie Veränderungen in der Komüposition des Darminhaltes aufspüren können, seien es Nahrungsbestandteile oder Die Darmbakterinen und ihre Stoffwechselprodukte.
Die Blut-Hirn-Schranke reagiert auf bakterielle Metabolite
Die Blut-Hirn-Schranketrennt das Gehirn vom allgemeinen Blutkreislauf und kontrolliert damit die Zufuhr von unerwünschten Substanzen ins Gehirn.
Sie besteht aus Endothelzellen, die die kleinsten Blutgefäße im Gehirn auskleiden. Eine Endothelzelle kontrolliert über spezifische Transportproteine ganz genau, welche Stoffe ihr Inneres passieren und in das dahinterliegende Gewebe, in diesem Fall das Gehirn, aufgenommen wird. Die Zellen sind, wie in der Darmbarriere, seitlich durch Tight Junctions miteinander verknüpft.
Es hat sich gezeigt, dass Signale aus dem Darm, wie bakterielle Metabolite, zum Beispiel SCFA (kurzkettige Fettsäuren), LPS (Bestandteil bakterieller Zellwände), TMA (Vorstufe von TMAO) oder Vitamine die Permeabilität der Blut-Hirn-Schranke beeinflussen. Und die wiederum ist in die Entwicklung neurodegenerativer Erkrankungen, wie Alzheimer oder Parkinson, einbezogen.
Darmdysbiosen bei neurodegenerativen Erkrankungen
Eine Dysbiose im Darm ist durch eine und reduzierte Anzahl und bakterielle Vielfalt gekennzeichnet. Vort allem die „Stammgäste“ im Darm, Firmicutes und Bacteroidetes, gehen zurück und machen unerwünschten Arten Platz.
Man erreicht eine Dysbiose durch eine unausgewogene Ernährung mit zu wenig Ballaststoffen und zu viel hoch verarbeiteten Nahrungsmitteln. Auch Alkohol mögen die guten Darmbakterien nicht. Außerdem stören psychischer Stress, Schlafmangel, Infektionen und bestimmte Erkrankungen wie Diabetes Typ 2, das Gleichgewicht im Darm.
Durch die Dysbiose kann sich die Durchlässigkeit sowohl der Darmbarriere als auch der Blut-Hirn-Schranke erhöhen. Es kommt zu Entzündungen, oxidativem Stress und verschiedenen Störungen des physiologischen Gleichgewichts, etwa veränderte Proteolyse (Abbau von Proteinen) oder erhöhte Aggregation von Proteinen, was wiederum den Tod von Neuronen und damit Veränderungen des Nervengewebes nach sich zieht.
Während die Metabolite der pathogenen Bakterien ihren schädliche Wirkung entfalten, fehlen die neuroprotektiven, das Gehirn schützenden Stoffwechselprodukte der guten Darmbakterien, wie SCFA, Tryptophan, das zur Synthese von Serotonin benötigt wird, oder Serotonin selbst.
Zahlreiche Studien belegen Veränderungen des Darm.Mikrobioms, die mit bestimmten neurodegenerativen Krankheiten einhergehen. Im Stuhl von Parkinson Patienten findet man zum Beispiel wenig Prevotella, aber vermehrt Enterobakterien. Bakterien, die entzündungsfördernde Cytokine produzieren, wie Ralstonia, Proteobakterien (zu denen die Enterobakterien gehören) und Enterokokken erfahren eine Blüte während entzündungshemmende Butyratbildner, wie Faecalibacterium, Coprococcus, Roseburia und Blautia sich rar machen. Bei Patienten anderer neurodegenerativer Krankheiten finde man ganz ähnliche Muster.
Therapeutisch Ansätze zum Nutzen der Darm-Hirn-Achse
Für ein optimiertes Darm-Mikrobiom wird heute die mediterrane Ernährung angesehen. Sie ist überwiegend vegetarisch, ballaststoffreich und moduliert die Darmflora. Es werden vermehrt SCFA (kurzkettige Fettsäuren) und weniger TMAO (Trimethylamin-N-Oxid) gebildet. TMAO soll sich sehr negativ auf die Herz-Kreislauf-Gesundheit auswirken. SCFA dagegen werden in den Blutkreislauf aufgenommen und können bis ins Gehirn gelangen, um dort ihre positive Wirkung persönlich zu entfalten. Butyrat, eine SCFA, kann zum Beispiel die Aktivität von Genen beeinflussen.
Dagegen wirken sich ein hoher Verzehr von Zucker und Fett sehr ungünstig auf neurodegenerative Erkrankungen aus.
Auch Polyphenole können das Gehirn schützen. Resveratrol, das in Trauben und Rotwein vorkommt, schützt vor dem Verlust dopaminabhängiger Nervenzellen.
Fructo-Oligosaccharide aus Obst und Gemüse fördern die Produktion von SCFA und stärken das Darm-Mikrobiom. Sie können auch die Apoptose, den programmierten Zelltod, von Nervenzellen hemmen, Schwellungen des Hirngewebes lindern und sie Synthese von Neurotransmittern fördern.
Es lohnt sich immer wieder, ab und zu in einen Apfel zu beißen. Eva hatte doch recht 😉
Quelle:
Zheng, Yadong et al. “Understanding the Gut-Brain Axis and Its Therapeutic Implications for Neurodegenerative Disorders.” Nutrients vol. 15,21 4631. 31 Oct. 2023, doi:10.3390/nu15214631
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