Dezember 5, 2024

Unser Darm-Mikrobiom: Drei Pfund Bakterien

Das Darm-Mikrobiom ist eine bunte Gesellschaft

Unser Verdauungssystem ähnelt einem langen Fluss, an dessen Ufer es zuweilen sehr rau zugeht. Deshalb besiedelt das Darm-Mikrobiom den gesamten Darm, aber die Zusammensetzung und vor allem die Populationsdichte variiert gewaltig.

Im Magen ist es extrem sauer und daher siedeln hier nur sehr wenige, an das Milieu angepasste Bakterien. Helicobacter pylori ist so ein Spezialist, der dem Angriff der Magensäure entgeht, indem er sich pH neutrale Nischen schafft.

Später im Dünndarm, wo Verdauungsenzyme aktiv werden, ist die Umgebung schon viel freundlicher und der pH fast neutral. Hier leben bis zu 106 Bakterien pro Milliliter Darminhalt. Eine Million auf 20 Tropfen. Im Dünndarm, wo die Nahrungsstoffe zerlegt und resorbiert werden, stellen die mikrobiellen Mitbewohner noch eine gewisse Konkurrenz für uns dar.

Im Dickdarm wird dagegen nur noch aufgeräumt. Die Verdauung ist vorbei. Wasser und Salze werden noch resorbiert und Schleim produziert, damit das Ganze nicht ins Stocken gerät. Hier tummeln sich satte 1013 Bakterien pro Milliliter. Das ist nochmal eine Million mal mehr als im Dünndarm. Sie leben von dem, was wir nicht verwerten konnten: Unverdauliches, Ballaststoffe, die neuerdings auch Präbiotika heißen. Diese Mikroorganismen verfügen über eine sehr nützliche Gabe:

Sie können Stroh zu Gold spinnen.

Für uns ist es wertloses Zeug. Meist komplexe Kohlenhydrate, die wir nicht spalten können und deren Energiegehalt daher für uns unerreichbar ist. Die Darmbakterien können das. Sie besitzen hunderte Enzyme, mit denen sie diesen verzwickten Substraten auf die Pelle rücken und vergären den kostbaren Zucker, den sie daraus erhalten.

Das Darm-Mikrobiom schützt vor Krankheiten

Unsere Darmflora, zumindest das gesunde Darm-Mikrobiom, lebt absolut nachhaltig und pflegt ihre Lebensgrundlage. Wo soll sie auch hin, wenn wir nicht mehr sind? Deswegen profitieren wir als ihr Wirt auch von ihrer Aktivität. Eine echte Symbiose eben. Die Darmbakterien stärken unser Immunsystem und die Darmbarriere. So schützen dadurch vor Infektionen. Sie fördern die Gesundheit des Darmes und kommunizieren mit fast allen Organen. Ein gestörtes Mikrobiom kann sich in allen möglichen Erkrankungen äußern. Die aktuelle Mikrobiomforschung fördert erstaunliche Zusammenhänge zutage.

Oft klingt es absurd, dass das Darm-Mikrobiom die Ursache all möglicher Krankheiten, nicht nur des Darmes, sein soll. Aber viele Probleme lassen sich mit einer Stuhltransplantation beheben. Oder von einem kranken auf ein gesundes Individuum übertragen. Das zeigt, dass es sich hier tatsächlich nicht um eine einfache Korrelation handelt und auch, dass ein gestörtes Darm-Mikrobiom eher die Ursache als die Folge des Problems ist.

Die Zusammensetzung des Darm-Mikrobioms

Das Darm-Mikrobiom besteht zur überwiegenden Mehrheit aus Bakterien, aber auch Pilze (Hefen), Viren (die eigentlich gar nicht leben) und Protozoen kommen in geringer Zahl vor.

Die kommensalen Bakterien gehören fast ausschließlich vier Stämmen (Phyla) an, den Firmicutes, Bacteroidetes, Actinobacteria und Verrucomicrobia. Pathogene kommen nur in ganz geringen Zahlen von etwa 0,1 % vor.

Firmicutes und Bacteroidetes machen den Löwenanteil mit bis zu 95 % der vorhandenen Bakterien aus. Das Verhältnis von Firmicutes zu Bacteroidetes wird traditionell als Marker für ein ausgeglichenes Mikrobiom mit geringem Krankheitsrisiko angesehen. Die Variabilität unter gesunden Individuen ist aber enorm und so gerät die Fachwelt gelegentlich ins Zweifeln. Schließlich gehören viele hochwillkommene Mitglieder der Bakteriengemeinschaft den Firmicutes an.

Die bakterielle Besiedelung im Verlauf des Darmes ist nicht homogen. Sie verändert sich mit dem Verlauf des Darmes. Und das ist fast schon alles, was man an Informationen dazu finden kann.

Im oberen Bereich des Verdauungssystems, in der Speiseröhre und im Dünndarm, dominieren Streptokokken. Wobei die Speiseröhre mit rund 101 Bakterien pro Gramm Biomasse wirklich nur sehr dünn besiedelt ist. Andere Quellen nennen Firmicutes (64%), zu denen die Streptokokken gehören, Actinobacteria (13%) und Proteobacteria (11%) als wichtigste Bewohner des Dünndarms.

(Firmicutes im Dünndarm machen Sinn, wenn es um die Verwertbarkeit von Nahrungsbestandteilen geht. Nur hier können sie auch dick machen, würde ich meinen.)

Aber wenn vom Darm-Mikrobiom die Rede ist, ist in der Regel das Mikrobiom des Dickdarms gemeint. Hier tummeln sich die oben genannten Stammesgenossen.

Auch im Querschnitt ist die Verteilung der Bakterien inhomogen. Manche Arten wie Clostridium und Akkermansia besiedeln bevorzugt die Schleimhaut. Andere, Bacteroides, Bifidobacterium, Streptococcus, Enterobacteriacae, und Ruminococcus halten sich eher im Lumen des Darmes auf. Sie werden mit dem Stuhl abgegeben und wurden daher als erstes entdeckt. Manche sind auch Kosmopoliten des Darmes und residieren al im Lumen, mal an der Mucosa, wie Lactobacillus, Enterococcus oder Clostridien.

Jedes Mikrobiom ist einzigartig

Von den vielen tausend Bakterienarten, die man bereits im Darm identifiziert hat, kommen nur relativ wenige wirklich immer vor und stellen sozusagen ein Kern-Mikrobiom dar. Aber trotzdem ist jedes Mikrobiom so einzigartig wie ein Fingerabdruck.

Darm-Mikrobiome lassen sich in drei verschiedene sogenannte Enterotypen unterteilen, die jeweils ihre charakteristischen Markerarten haben.

Enterotyp 1 mit einem hohen Vorkommen an Bacteroides. Diese Bakterien bauen vor allem komplexe Kohlenhydrate ab. B. thetaiotaomicron verfügt allein über 260 Enzyme, die verzwickte Zuckerbindungen spalten können.

Enterotyp 2 mit einem hohen Vorkommen an Prevotella. Diese Bakterien gehören ebenfalls zum Stamm der Bacteroidetes und haben sich auf den Abbau der zuckerhaltigen Glycoproteine der Darmschleimhaut spezialisiert.

Enterotyp 3 mit einem hohen Vorkommen an Ruminococcus. Diese Gattung gehört zu den Firmicutes. Aber dieser Enterotyp wird trotzdem mit guter Darmgesundheit und einer schlanken Linie in Verbindung gebracht. Auch diese Bakterien haben sich auf den Abbau von Mucinen spezialisiert und auch den Transmembrantransport von Zuckern.

Woher kommt das Mikrobiom?

Neugeborene kommen schon während der Geburt mit ihrem zukünftigen Mikrobiom in Kontakt und die Mikroben besiedeln den Körper. Die Art der Geburt spielt dabei eine große Rolle. Bei einer natürlichen Geburt wird das Neugeborene mit der Vaginalflora der Mutter besiedelt, hauptsächlich Lactobacillus und Prevotella. Bei einer Kaiserschnittgeburt mit der Mikroflora der Haut, wahrscheinlich Streptococcus, Corynebacterium und Propionibacterium. Das kann einen Riesenunterschied für die spätere Entwicklung des Mikrobioms machen.

In den ersten drei Lebensjahren durchläuft das Mikrobiom verschiedene Entwicklungsphasen, bis es dem eines Erwachsenen entspricht. Die Ernährung des Säuglings spielt dabei eine wichtige Rolle.

Muttermilch enthält sogenannte HMOs (Human Milk Oligosaccharides). Das sind Präbiotika, die nicht der Ernährung des Säuglings dienen, sondern selektiv die Vermehrung von Bifidobakterien im Darm fördern. Wie genial ist das denn? Kuhmilch enthält nämlich kein derartiges Bakterienfutter. Deswegen ist Muttermilch mit Abstand die beste Wahl bei der Säuglingsernährung.

Insgesamt ist so ein Mikrobiom ziemlich stabil, unterliegt aber dynamischen Veränderungen, die im Lauf des Lebens auftreten. Mal gibt es mehr von den einen, mal von den anderen Bakterien.

Wie kann man das Darm-Mikrobiom beeinflussen?

Es ist naheliegend, dass die Zusammensetzung des Mikrobioms vor allem durch die Ernährung geprägt wird.

Erstrebenswert ist ein artenreiches Mikrobiom mit einer hohen Populationsdichte. Das erreicht man am besten mit einer Ernährung, die reichlich Obst, Gemüse und ballaststoffreiche Lebensmittel enthält. Damit hat man auf jeden Fall genug Präbiotika eingenommen, die den Mikroorganismen ihr Auskommen sichern.

Und sie werden uns das heimzahlen – garantiert… 😉

Quelle:

Jandhyala, Sai Manasa et al. “Role of the normal gut microbiota.” World journal of gastroenterology vol. 21,29 (2015): 8787-803. doi:10.3748/wjg.v21.i29.8787

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