Mit den segmentierten filamentösen Bakterien treiben wir uns gerade im Dünndarm herum. Der Großteil der Mikrobiomforschung befasst sich mit der Bakterienwelt des Dickddarms. Nicht zuletzt, weil der um einiges leichter zu erforschen ist und Verwirrung herrscht ohnehin schon genug.
Aber natürlich ist auch der Dünndarm von Bakterien besiedelt. Das Mikrobiom des Dünndarms unterscheidet sich deutlich von dem des Dickdarms und die Besiedelung ist auch nicht so dicht, sie macht nur etwa ein Millionstel der Dickdarmflora aus. Aber eine Million Zellen pro Milliliter Darminhalt ist es schon und das ist ganz schön viel. Die Bevölkerung Kölns in einem Zwanzigstel Schnapsglas.
Und darunter befinden sich recht merkwürdige Zeitgenossen: segmentierte filamentöse Bakterien, oder kurz SFB. Sie siedeln bevorzugt am Ende des Dünndarms, kurz vor dem Übergang zum Dickdarm. Und das tun sie in vielen Wirbeltierarten. Jede Art hat ihre eigene Spezies von SFB und sie erfüllt ihre Mission nur im passenden Wirt.
Segmentierte filamentöse Bakterien sind eng mit Clostridien verwandt. Wie diese bilden sie unter ungünstigen Bedingungen auch Sporen, die auskeimen, wenn die Zeiten wieder besser sind.
Der ungewöhnliche Lebenszyklus der SFB
Segmentierte filamentöse Bakterien haben einen ungewöhnlichen Lebenszyklus. Sie haften sich mithilfe von saugnapfähnlichen Strukturen an die Oberfläche der Epithelzellen des Wirts. Sie durchdringen dazu die Schleimhaut, die aber im Dünndarm ohnehin nicht so dick ist, lassen die Wirtszelle aber ansonsten intakt. Im Inneren der Wirtszelle kommt es allerdings durch das Andocken der Bakterien zu umfangreichen Umbaumaßnahmen. Im Zellinneren gibt es ein Gerüst aus Proteinen, das sogenannte Cytoskelett. Und das wird unterhalb der Andockstelle umgebaut, sodass es den Kontakt stabilisieren kann. In der Bakterienzelle entknäuelt sich dagegen die DNA, was darauf schließen lässt, dass die Zelle neue Proteine bildet.
Die Bakterien beginnen sich am freien Ende zu teilen und entwickeln lange, fadenförmige Filamente aus Bakterienzellen. Die lösen sich schließlich ab und die freien Filamente verteilen sich im Darmlumen. Einzelne Zellen docken wieder an und gründen neue Filamente.
So ein Cyclus dauert zwei bis drei Tage.
Segmentierte filamentöse Bakterien sind keine Dauermieter
Segmentierte filamentöse Bakterien sind aber keine Dauermieter im Darm. Sie erscheinen früh im Säuglingsalter und haben – bei Säugern – ihre Blüte zur Zeit des Abstillens, eine wichtige Phase für die Entwicklung des Immunsystems. Mittlerweile ist durch zahlreiche Studien belegt, dass SFB tatsächlich eine wichtige Rolle für das Immunsystem spielen.
Segmentierte filamentöse Bakterien erscheinen in Mäusen etwa zum Zeitpunkt des Abstillens. In dieser Phase vermehren sie sich stark und stellen eine dominante Art im Mikrobiom dar. Nach kurzer Zeit verschwinden sie wieder.
Ein Viertel der Menschen beherbergen SFB nur bis zu einem Alter von sechs Monaten, bei drei Viertel der Menschen bleiben die Bakterien ein ganzes Jahr, bevor sie sich aus dem Staub machen. Nur etwa sechs Prozent der Menschen beherbergt segmentierte filamentöse Bakterien praktisch das ganze Leben lang.
SFB reisen mit leichtem Gepäck
Segmentierte filamentöse Bakterien haben ein ziemlich kleines Genom, das nur etwa 1400 proteincodierende Gene enthält. Die Synthesewege für die meisten Aminosäuren und Vitamine sind unvollständig oder fehlen komplett. Damit sind SFB stark auf die Versorgung durch den Wirt angewiesen. Und in diesem Feld glänzen sie, denn sie besitzen reichlich Enzyme, die Proteine oder andere Makromoleküle abbauen und ihnen die Bauteile verfügbar machen. Dazu noch viele Transportproteine, die helfen, das Zeug hereinzuschaufeln.
Segmentierte filamentöse Bakterien sind wirtsspezifisch. Jede Art hat ihr eigenes Bakterium bzw. ihren eigenen Wirt. Die Wirtsspezifität kommt zum Teil dadurch zustande, dass die Bakterien sich an verschiedene Zelltypen anheften. Und sie deutet darauf hin, dass es sich um eine sehr alte Beziehung handelt, in der beide Arten sich gemeinsam entwickelt haben.
Mit dem Rest der Darmbakterien gehen SFB auch verschiedene Wechselwirkungen ein. Die scheinen alle positiv zu sein. Wobei die Datenlage schwierig ist.
Segmentierte filamentöse Bakterien aktivieren das Immunsystem
Segmentierte filamentöse Bakterien sind wichtig für die Reifung des Immunsystems. Sie können naive CD4+ T Zellen dazu veranlassen, sich zu Th17 Helferzellen zu entwickeln. Solche Immunzellen findet man vor allem auf Schleimhäuten und sie richten sich gegen infektiöse Bakterien. Bei keimfreien neugeborenen Mäusen sind solche Zellen rar, vermehren sich aber deutlich nach der Infektion mit segmentierten filamentösen Bakterien. Es müssen aber die richtigen, zur eigenen Art gehörenden, sein.
Quelle:
Hedblom, Grant A et al. “Segmented Filamentous Bacteria – Metabolism Meets Immunity.” Frontiers in microbiology vol. 9 1991. 24 Aug. 2018, doi:10.3389/fmicb.2018.01991